Mrz
Stephanie bleibt auch diese Woche bei ihren kleinen Schrittchen, aber dafĂŒr weiterhin kontinuierlich. Das Personal ist jedenfalls nach wie vor begeistert und lobt selbst Dinge, die unsereins zunĂ€chst nicht als Vorteil wahrnimmt. So hat sie die letzten Tage zum Beispiel mit dem Schreien begonnen – anfangs ausschlieĂlich in der LautstĂ€rke eines Kampfjets, doch mittlerweile fĂ€ngt sie zunĂ€chst leise an und erst, wenn man trotz ihrer kleineren Unmutsbekundung nicht mit dem Ungewollten aufhört, steigert sie sich hoch bzw. wird lauter. Das zeigt sich insbesondere am recht empfindlichen, linken Arm.
Aber an manchen Tagen kann sie dann schon wieder auch völlig anders reagieren, denn wo sie bei mir zuvor noch ihre Sirene angeworfen hat, durfte kurze Zeit spĂ€ter die Ergotherapeutin nach sehr viel gutem Zureden die linke Hand nehmen und in aller Ruhe die Orthese anlegen – ohne Geschrei, ohne Gegenwehr und ohne hohe Herzfrequenz. Mein Kind half sogar aktiv beim ReinschlĂŒpfen und beim Positionieren der einzelnen Finger mit … mein Gesicht sprach in diesem Moment sicherlich BĂ€nde: „Du Biest !“
Dieses Sprunghafte ist aber auch in anderen Bereichen deutlich zu sehen. Bei meinen Besuchen ist sie entweder total offen und interessiert, guckt sich mit mir Fotos und eure zugeschickten Videos an …
… hört aufmerksam beim Vorlesen zu und macht auch beim Wiedererlernen von Zahlen, Buchstaben und Tönen super mit, an anderen Tagen ist sie dann aber völlig abwesend und scheint sehr stark mit sich selbst beschĂ€ftigt bzw. gedanklich ganz woanders zu sein. Sie liegt dann grĂŒbelnd da und fĂŒhrt immer wieder die gleiche Bewegung einzelner Körperpartien durch, z.B. ein stĂ€ndiges Anheben und Plumpsenlassen des rechten Beins … fast die gesamte Besuchsstunde ĂŒber. Aber auch hier sind sich die Therapeutinnen und das Pflegepersonal einig: es ist so toll !!!
Freude und Begeisterung riefen bei mir in dieser Woche u.a. diese Entwicklungen hervor:
- Auf einem DinA4-Blatt habe ich ihr die Zahlen von 0 bis 9 gezeigt, sie noch einmal namentlich benannt und dann mit dem Ja/Nein-Code abgefragt: sie macht zwar immer nur fĂŒr einen sehr kurzen Zeitraum mit, aber als ich auf die 5 zeigte und fragte, ob das die 5 sei, hat sie das bejaht. Als ihr die 3 zeigte und diese fĂ€lschlicherweise als 2 betitelte, hat sie verneint. Es dauert aber nicht lange und sie verliert das Interesse bei so viel BanalitĂ€t
dann möchte sie nicht einmal mehr das Zahlenbrett angucken und dreht sich demonstrativ weg. Die kleinen Schritte mal wieder …
- Einem Kind muss man in der Regel erst einmal sehr geduldig beibringen, wie man sich beim GĂ€hnen gesellschaftlich korrekt verhĂ€lt. Stephanie kann dafĂŒr aber ja nicht ihre HĂ€nde benutzen, also geht man bei ihr davon aus, dass sie den Mund weit aufreiĂen wird. Doch erstaunlicherweise ist das nicht (immer) der Fall, denn sie versucht trotz ihres Handicaps gute Manieren zu zeigen und gĂ€hnt bei geschlossenem Mund. Ich war jedenfalls sehr beeindruckt, denn beigebracht hat ihr das sicherlich in der letzten Zeit niemand.
- Als sie mir auf die Frage, ob ich als nĂ€chstes aus einem Kinderbuch, einem Krimi oder einem Sachbuch vorlesen soll, nicht mit JA oder NEIN antworten wollte, kam von ihr ein Schulterzucken. FĂŒr mich eine direkte Reaktion auf meine Frage, aber nun mit einer völlig neuen Möglichkeit. Zudem scheint sie auch immer wieder mal Aussagen mit einem Hmmmmm zu quittieren … mal sehen, wann ich ihr das sĂ€chsische „Nu“ entlocken kann
- Aus dem letzten Buch habe ich immer die kleineren Texte seitenweise vorgelesen und dann gemeinsam mit ihr die Bilder angeschaut und erklÀrt. Dabei guckt sie sich diese schon sehr intensiv an und als ich mal das Buch bewegt habe, sind ihre Augen dem auch adÀquat gefolgt, d.h. sie starrt nicht nur darauf, sondern fixiert auch korrekt.
- Anfang der Woche wurde das Pflaster am Hals noch regelmĂ€Ăig ausgetauscht, aber dann hat man es ganz weggelassen und man kann nun das Loch des Tracheostomas sehen. Von innen scheint es schon wieder richtig zugewachsen zu sein, sodass auch hier eine nachtrĂ€glich Operation sicherlich nicht mehr nötig sein wird. Sorry, das Bild sieht etwas erschreckend aus … es ist kurz nach einer Pflasterentfernung entstanden, aber mittlerweile sieht alles wesentlich unauffĂ€lliger aus.
- FĂŒr einen Riechtest habe ich mal eine Packung FrĂŒchtetee mitgebracht. Das erste Schnuppern beendete sie noch mit einem deutlichen „BĂ€h“ als Gesichtsausdruck, aber nach mehrmaligen Versuchen fand sie doch wieder Gefallen am Duft ihres ehemaligen LieblingsgetrĂ€nkes – jedenfalls ist Tee eines davon (gewesen).
- Auch die im letzten Blogeintrag beschriebenen GreifĂŒbungen fĂŒhre ich weiter mit ihr fort. Dabei gebe ich ihr etwas in die Hand und sie versucht, es mit den Fingern zu umschlieĂen. Wenn es dann aber doch nach einiger Zeit aus der Hand rutscht, sucht sie das Verlorene tastend auf dem Bett und legt ihre Hand wieder drauf, um es weiterhin im Zugriff zu behalten.
Vom Klinikpersonal bekomme ich ebenfalls viele positive RĂŒckmeldungen und man schaut wohl auch gerne mal in ihr Zimmer rein bzw. kommt an ihrem Bett vorbei:
- TagsĂŒber ist sie in der Regel immer gut drauf, lĂ€chelt und lacht viel mit diesen Kurzbesuchern und macht auch freiwillig viel mit … wenn ich dann allerdings abends fĂŒr die eine Stunde zu Besuch komme, finde ich sehr oft ein mĂŒdes Kind vor oder sie ist so groggy, dass sie am liebsten nur noch ganz seicht betĂŒdelt werden möchte. DafĂŒr genieĂe ich die Zeit am Wochenende umso mehr, denn da habe ich ihre vollstĂ€ndige Aufmerksamkeit – und das zum Teil auch gleich fĂŒr mehr als nur eine Stunde.
- Die Aufrichtung mit dem Stehbrett klappt zunehmend besser (ca. 70 Grad) und auch der linke FuĂ lĂ€sst sich immer mehr wie gewĂŒnscht positionieren. Das Botox scheint also auch hier gut zu wirken.
- Man berichtet mir von Weinen – so richtig mit verzogenem Gesicht und TrĂ€nen – und anderen GefĂŒhlsausbrĂŒchen, vom Austesten bzw. Nachmachen bei Tönen oder Lauten und somit dem Wiederentdecken ihrer Stimme, von der Erweiterung ihres JA und NEIN um das zustimmende „Hmmmm“ und vom Mitmachen bei Dingen, die fĂŒr uns so selbstverstĂ€ndlich klingen, wie z.B. ein aktives Schnauben beim Naseputzen.
Ich entdecke auch selber bei meinen Besuchen, dass Stephanie sich immer mehr mit einer verbalen Kommunikation versucht und sich ab und zu schon etwas darĂŒber Ă€rgert, dass man sie gar nicht so richtig und vor allen Dingen nicht auf Anhieb versteht. Ich glaube, das ist aus ihrer Sicht bestimmt die nĂ€chste „Baustelle“, die sie fĂŒr sich selbst ausgemacht hat. Sie ist ja vom Wesen her eine sehr kommunikative Person und ich kann mir vorstellen, dass das Zuhören allein nicht so die ErfĂŒllung ihrer TrĂ€ume ist. Seit gestern hat sie groĂen Gefallen am Buch „Der Junge, der Maulwurf, dar Fuchs und das Pferd“ von Charlie Mackesy gefunden. Ich habe es von einer Freundin zu meinem Geburtstag geschenkt bekommen und fand es einfach zauberhaft. Und Stephanie mag es jetzt offensichtlich auch. Wir haben gestern ĂŒber eine Stunde dafĂŒr gebraucht, dabei hat das Buch gar nicht so viel Text aber Stephanie hat sich auf jeder Seite recht lange und sehr aufmerksam die Bilder angeschaut … mal mit einem LĂ€cheln, mal etwas traurig. Es hat sie offensichtlich sehr berĂŒhrt.
Ansonsten haben wir heute auĂerdem mit „Pippi Langstrumpf“ angefangen, aber noch ist mein Kind von der Heldin ihrer Kindheit nicht so ganz ĂŒberzeugt – vielleicht liegt es aber auch an meinen VorlesekĂŒnsten
Ich gebe mir immer sehr viel MĂŒhe beim Vorlesen der vielen Postkarten und Briefe fĂŒr unser Kind, welche in letzter Zeit bei uns eintrudeln. Mitgeschickte Bilder werden ebenfalls lange von ihr angeschaut, dabei sehr oft auch mit einem LĂ€cheln auf den Lippen. Vielen lieben Dank an die fleiĂigen Schreiber!!!
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