Nov
Heute tue ich mich zugegeben etwas schwer mit dem Einteilen der Themen, denn sowohl ein Revue passieren lassen nach Tagen wĂ€re möglich, aber eigentlich auch nach Fortschritten und Ereignissen – ich habe mich nun letztendlich fĂŒr das zweite entschieden.
Am ereignisreichsten war wohl eindeutig der Donnerstag … der 11.11. … St. Martin … und fĂŒr diesen Tag hat sich das Pflegezentrum mal wieder etwas ganz Tolles und RĂŒhrendes einfallen lassen. ZunĂ€chst hat man alle Bewohner am spĂ€ten Nachmittag zusammengeholt und gemeinsam gegessen – Stephanie war von der Ente und dem Rotkohl total begeistert! Danach brachte man die Anwesenden mit ihren, in den letzten Tagen gebastelten Laternen nach drauĂen und versammelte sie um den Rasen im Innenhof, wo mit Lichtern, Fackeln und Lagerfeuer eine richtig tolle Stimmung geschaffen wurde:
Und mit eben diesen Laternen in den HĂ€nden stimmten dann alle, Bewohner und Personal, in Begleitung einer Gitarre zu den typischen St. Martin-Liedern an: „Laterne, Laterne – Sonne, Mond und Sterne“ und „Ich geh‘ mit meiner Laterne“. Wir waren sehr erstaunt, wie gut Stephanie die Texte wieder aus ihren Erinnerungen kramen konnte und sie mit uns allen mitgesungen hat – so toll!
AnschlieĂend wurde wĂ€rmender Punsch gereicht und Stephanie kam sogar sehr schön mit ihrem heiĂen GetrĂ€nk in der Tasse zurecht. Nur das Pusten musste Carsten ĂŒbernehmen …
Und genau dieses direkte Trinken aus der Tasse, also ganz ohne Strohhalm oder andere Hilfsmittel, zeigte sie gleich mehrfach in dieser Woche – fĂŒr uns wĂ€re damit mal wieder ein kleiner Meilenstein von der Aufgabenliste geschafft. Denn egal ob Kaffee aus der Tasse oder ein KaltgetrĂ€nk aus dem Pappbecher, es wird nicht gekleckert, nichts zerdrĂŒckt oder fallengelassen:
Ok, das Feintuning, wie z.B. das Halten einer Tasse am Henkel, fehlt noch đ
Auch beim Essen geht nun immer weniger daneben bzw. fĂ€llt auf den Latz. Selbst beim ganz alleinigen Auslöffeln einer halben Dose Mais (sie war ja sooooo glĂŒcklich ĂŒber diese Köstlichkeit!) hat sie am Ende nicht ein einziges Körnchen vom Teelöffel verloren. Ihre rechte Hand fĂŒhrt mittlerweile eine so ruhige und zielgerichtete Bewegung aus, an die vor ein paar Monaten noch gar nicht zu denken war:
Mit Linki konnten wir im Nachhinein noch das unterstĂŒtzende Festhalten der Dose ĂŒben, da Stephanie derzeit noch das Abstellen auf dem Tisch fĂŒr einen festeren Stand und das waagerechte Halten nicht ganz konsequent einhĂ€lt – sie hebt vieles automatisch hoch. Ein solche Maisdose ist nĂ€mlich doch etwas gröĂer im Umfang als die bisher zu haltenden Yoghurtbecher und das wird dann eben sehr viel komplizierter und anstrengender fĂŒr ihre linke Hand …
Eigentlich fehlt ihr jetzt (mal vom Zu- und Vorbereiten abgesehen) nur noch das Essen mit Messer und Gabel bzw. das Schneiden von Dingen. Demnach hat sie die Grundfertigkeiten doch relativ schnell wieder erlernen können, denn sie beherrscht völlig ohne Probleme:
- die selbststĂ€ndige Einnahme von Medikamenten, egal ob flĂŒssig im kleinen Becher oder in Tablettenform
- das Trinken aus einem Becher, einer Tasse, einer Dose oder einer Flasche
- das Essen mit Besteck vom Teller oder Brettchen
- das relativ gute Leeren von Tellern, SchÀlchen oder Dosen
(Mutter)Herz, was willst du mehr?!?! đ
Und auch mit ungewöhnlicheren Darreichungen kommt sie nach einer kleinen mĂŒndlichen und optischen Anleitung wunderbar zurecht. Diesen (neudeutsch) Schaum- bzw. Schokokuss …
… verputzte sie genau so souverĂ€n und „unfallfrei“, wie auch unsere mitgebrachten TicTacs und „Pfeffis“ (erst lutschen, dann zerbeiĂen), GummibĂ€rchen und Kaubonbons sowie ihre damalige und heute auch noch allerliebste Kalorienbombe: Donuts
Weil wir die Woche mal im Hamburger Hauptbahnhof waren, kauften wir bei ihrem favorisierten Donut-HĂ€ndler gleich mal ein Duzend dieser Köstlichkeiten ein, die wir dann an mehren Tagen unter uns dreien aufteilten, damit sie auch wirklich mal von jeder Variation probieren konnte. Und dabei strahlte sie wieder wie ein Honigkuchenpferd, mein ĂŒberaus glĂŒckliches Kind!
FĂŒr sie und uns gab es die letzten Tage aber auch noch andere GrĂŒnde zum Freuen. Am Samstag bekam sie z.B. Besuch aus Berlin, mit dem sie wieder alte Erinnerungen austauschen konnte – manches ist sogar recht gut abrufbar gewesen:
Nur an den Besuch von Laura in der Klinik in Geesthacht Mitte Juli konnte sie sich leider so gar nicht mehr so genau erinnern. Doch die beiden haben sicherlich vieles wieder auffrischen können, denn in den fast vier Monaten von damals bis heute hat Stephanie laut wortwörtlicher Aussage einer Therapeutin „einen Quantensprung“ hingelegt … auch wenn mein Kind das nicht immer so ganz sieht und obgleich ihrer Fortschritte immer ein klein wenig ungeduldig ist.
Und um eben genau diese Auffrischung von damaligen Ereignissen weiter zu fördern, verbringen wir beide an unseren MĂ€dels-Sonntagen gleich mehrere Stunden mit dem BlĂ€ttern durch Fotoalben und dem gegenseitigen Austausch ĂŒber das Wann, Wo, Warum und vor allem mit wem:
Dadurch wird aber nicht nur ihr Geist und die Erinnerung trainiert, sondern gleich auch ihre Motorik – guckt euch hier mal an, wie sie mittlerweile selbststĂ€ndig die Seiten umblĂ€ttert:
Vor nicht allzu langer Zeit hat sie die Seiten nicht einzeln in die Finger bekommen, beim BlÀttern geknickt und ihre linke Hand wusste auch noch nicht, welche Hilfestellung in ihr steckt. Ein weiterer Haken auf unserer langen Liste an Baustellen konnte somit endlich gesetzt werden.
Wo sie aber derzeit gar keinen Draht zu findet, ist das Ăffnen und SchlieĂen einer Pappbox. Wir ĂŒben jetzt sogar schon mit verschiedenen GröĂen, aber der zĂŒndende Gedanke blieb bei ihr bislang aus. Auf Anweisung und mit kleineren Hilfestellungen bekommt sie zwar irgendwann den Deckel auf, aber eine eigene Strategie hat sich bei ihr leider noch nicht entwickelt. Es scheint so, als hĂ€tte sie noch immer nicht ganz verinnerlicht, was eigentlich das Ăffnen und SchlieĂen des Deckels von ihr verlangt. Aber wir bleiben weiter am Ball, um ihr mit diversen groĂen, kleinen, eckigen und runden Boxen aus Pappe und Blech immer wieder das Prinzip zu zeigen, zu erklĂ€ren und zu verdeutlichen. Irgendwann wird es wie bei den anderen Dingen schon Klick machen und dann lachen wir alle ĂŒber die bisher sehr unbeholfen aussehenden Versuche und gelegentliche Verzweiflung – wĂ€re ja nicht das erste Mal.
Beim Schachbrett hat es so doch ebenfalls geklappt – was zunĂ€chst wie ein unmögliches Unterfangen begann, bereitet ihr heute keinerlei Probleme mehr. Das Karomuster bringt sie nicht mehr aus der Ruhe, Schachfiguren und Damespielsteine werden auf Anweisung dort positioniert, wo sie hingehören und auch mit dedizierten Feldangaben, wie z.B. A4 oder C7, kann sie durch AbzĂ€hlen jetzt schon etwas anfangen. Darin ist Stephanie allerdings noch nicht so ganz sattelfest, sodass sie oft noch mĂŒhsam zĂ€hlend jedes Feld abhĂŒpft oder manchmal auch statt nur schnurstracks nach oben mal nach rechts oder links abbiegt.
Und sie setzt immer selbstverstĂ€ndlicher Linki gleich mit ins Geschehen ein, sei es zum Herausholen und Ăbergeben oder auch zum Fixieren und Festhalten. Selbst, wenn sie durch diese zusĂ€tzliche Fummelei (Greifen und Feinjustierung fĂ€llt ihr mit dieser Hand noch besonders schwer) meist sehr viel langsamer ist, sie gibt einfach nicht auf und von uns bekommt sie alle Zeit der Welt, die sie braucht. Unsere Ungeduld und das BewĂ€ltigen der vielen Baustellen können wir heute sehr viel besser koordinieren und auf die jeweilige GemĂŒtslage des Kindes und der Umwelt abstimmen, als noch vor einem halben Jahr. In dem Sinne ist sie sowieso ihr schĂ€rfster Kritiker đ
Dabei sieht sie aber leider eben nicht immer die wirklichen „Fortschrittchen“ – wir aber. Und wir testen diese auch hin und wieder mal aus. So z.B. kurz vor dem Gehen, wo Carsten ihr einmal wortlos die Seniorenfernbedienung ĂŒbergeben hat und sie ohne Anweisungen oder Ă€hnliches ihren Fernseher einschaltete, den Kanal auf ihr geliebtes „Deluxe Music“ umstellte und auch weil nötig die LautstĂ€rke justierte. Wir waren sehr beeindruckt, denn bei der Ăbergabe und dem Anlernen im Oktober schĂŒttelten wir beide noch die Köpfe darĂŒber, dass sie so viele Probleme mit den lediglich sechs Knöpfen hatte … und jetzt trotz wenig Ăbung durch uns: Profimodus!
Zum Abschluss möchte ich noch eine kurze ErklÀrung zu diesem tollen Bild abgeben:
Am Donnerstag ist eine Therapeutin noch einmal durch die Zimmer gegangen, um auch den Patienten ein kleines StĂ€ndchen auf der Gitarre zu geben, die eben nicht das Bett verlassen und mit in den Innenhof zum Feiern kommen konnten. So also auch fĂŒr die Zimmergenossin von Stephanie. Wir haben natĂŒrlich auch mitgelauscht und wurden in die Findung des dargebotenen MusikstĂŒckes mit einbezogen – die Entscheidung fiel am Ende auf âMarmor, Stein und Eisen brichtâ und interessanterweise war unser Kind beim Refrain auch hier relativ textsicher. Man kam danach so ins GesprĂ€ch und da Stephanie wĂ€hrend ihrer Dresdner Zeit mal sowohl Flöten- als auch Gitarrenspielen gelernt hat, durfte sie das Instrument halten und selbst an den Saiten zupfen – damit hofften wir eventuell noch weitere Erinnerungen ausgraben zu können und Stephanie war ebenfalls nicht ganz abgeneigt. Wir wollen daran nun irgendwann mal anknĂŒpfen und sie zukĂŒnftig auf ihrer Gitarre von damals herumklimpern lassen, denn ggf. kann dadurch sogar etwas mehr Anreiz fĂŒr eine noch viel bessere Bewegung (und Verwendung) von Linki mit herausspringen. Das hĂ€ngt dann am Ende aber natĂŒrlich ganz vom Kind ab …
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