So, jetzt kann ich endlich verbindlich ĂŒber ihre Entlassung aus dem Krankenhaus sprechen, denn in dieser Woche wurde nun alles fix gemacht: Stephanie wird am 28. Juli von der Rehaklinik in eine Pflegeeinrichtung verlegt werden – die behandelnde Ărztin sah aufgrund der fĂŒr die BegrĂŒndung wichtigen Indexpunkte im Singer (weiterhin gleich-bleibend bei 13) und Barthel (0 Punkte) leider keine Chance, eine weitere VerlĂ€ngerung bei der Krankenkasse zu erreichen. Doch als wir mit der Ărztin dieses entscheidende GesprĂ€ch am Mittwoch fĂŒhrten, sind Carsten und ich schon sehr viel gelassener an die Sache rangegangen, denn bereits seit Montag wussten wir, dass fĂŒr Stephanie sowohl Ende Juli als auch Ende August ein freier Platz in der Pflegeeinrichtung zur VerfĂŒgung stehen wĂŒrde. Damit war diese nicht ganz unerhebliche Unsicherheit vor dem GesprĂ€ch zum GlĂŒck schon lĂ€ngst aus dem Weg gerĂ€umt. Nun fĂ€llt ihr âUmzugâ zwar leider nicht in unsere eingereichte Urlaubszeit Ende August, aber damit können wir trotzdem ganz gut leben.
Ergo: nach 40 Tagen in der CharitĂ© in Berlin und bis dahin 296 Tagen in der Vamed-Klinik in Geesthacht, wird ihr neues Zuhause dann im von uns 40 km entfernten LĂŒneburg sein. Mal sehen, wie wir das mit den Besuchen wĂ€hrend der Arbeitswoche und an den Wochenenden regeln werden – wir haben uns natĂŒrlich schon erste Gedanken gemacht. Leider wird bei ca. 45 min pro Fahrt fĂŒr uns ein tĂ€glicher Besuch dann nicht mehr möglich sein, aber wir denken mal, dass wir insgesamt doch noch auf vier Tage pro Woche kommen werden: DI, DO, SA & SO. Doch dazu erst mehr, wenn es mal so weit ist. Anfangs werden wir sicherlich doch noch tĂ€glich hinfahren und wĂ€hrend unseres Urlaubs sowieso …
Wenn wir die Verlegung als das erste Highlight dieser Woche verbuchen, dann wÀre Nummer 2 auf jeden Fall der gestrige Besuch ihrer Freundin Laura aus Berlin:
Wie schon bei ihrem Vater hat Stephanie auch sie leider nicht auf Anhieb erkannt, als sie ins Zimmer trat, aber im Laufe des Besuches kamen ihr dann doch immer mehr Erinnerungen an die gemeinsame Zeit zurĂŒck. Zudem konnte sie sich an verschiedenste Dinge aus Lauras diversen Videos erinnern, die ich ihr immer wieder mal auf dem iPad vorgespielt habe. So zum Beispiel an den Namen ihres neuen Hundes und auch, dass dessen Vor-gĂ€nger traurigerweise kurz zuvor ĂŒber die RegenbogenbrĂŒcke gegangen ist.
An sich ist das ja nichts besonderes, aber ihr mĂŒsst bei Stephanie immer im Hinterkopf behalten, dass ihr Kurz-zeitgedĂ€chtnis meist gehörige Aussetzer hat. Einmal kamen wir am frĂŒhen Abend zu Besuch und sie war zuvor offensichtlich mit jemandem vom Personal drauĂen im Park, denn sie hatte von dieser Person zwei Blumen ins Haar gesteckt bekommen … aber auf unsere Frage mit bzw. von wem, wusste sie leider keine Antwort. Oder auch bezĂŒglich dessen, was sie immer so zum FrĂŒhstĂŒck isst, stimmen ihre mitunter sehr ĂŒberzeugend ausgespro-chenen Antworten („Brot mit Marmelade“) in der Regel nicht mit den Aussagen des im Anschluss daran befragten Pflegepersonals ĂŒberein („WeiĂbrot mit KrĂ€uterquark“) – erst, wenn man dann mit ihr noch einmal darĂŒber spricht, scheint sie sich wieder korrekt zu erinnern. Und unser Klassiker: „Wie macht die Katze ?“ beantwortet sie leider immer noch mit WUFF, aber am Freitag gab es schon die erste Entwicklung, denn die starb mit „Wu…“ ab und schob ein ĂŒberzeugendes „Miau“ hinterher. Sie hat sich also sofort selbst beim Sprechen korrigiert – wir sehen das als einen weiteren sehr guten Anfang.
Und es ist auch nicht immer so schlecht um ihr (Kurzzeit-)GedĂ€chtnis und ihren Erinnerungen bestellt, denn in manchen GesprĂ€chen ruft sie bei uns immer wieder mal groĂe Verwunderung hervor. Beim letzten Mal habe ich ja schon ĂŒber die Penne Funghi geschrieben und auch diese Woche konnte sie das ein oder andere aus ihren Gehirnwindungen hervorkramen.
Beispiel 1: Carsten hat ihr von den Unwettern im SĂŒden erzĂ€hlt und fĂŒr ihren Besuch aus Berlin und fĂŒr das Wochen-ende gehofft, dass es dann eben nicht regnen möge, da sie ja immer wieder gerne mal im Rolli raus möchte. An diesem Besuchstag sah es gut dafĂŒr aus und die Prognosen sagten Sonnenschein voraus. Carstens „Aber du weiĂt ja, was ein Wetterbericht von heute fĂŒr Sonntag wert ist, oder ?“ beantwortete sie wie schon damals wĂ€hrend ihres Meteorologiestudiums mit „Ja, die Chancen stehen Fifty-Fifty.“ … das hat sie also im GedĂ€chtnis behalten.
Beispiel 2: Ich habe mich mal mit ihr ĂŒber die aktuell gespielten Lieder unterhalten (sie guckt ja immer nur den Sender „Deluxe Music“ im Fernsehen und ist somit ganz gut auf dem Laufenden) und Stephanie hört derzeit das Lied „Wellermann“ sehr gerne. Das Lied „Strip“ von Lena findet sie blöd und auch Mark Fosters aktuelle Single mag sie derzeit nicht so dolle. Und wie bei mir geht ihr mittlerweile diese ewige Wiederholung und Endlosschleife des Liedes von Pink und ihrer Tochter auf die Nerven. D.h. an sowas erinnert sie sich also schon wieder – groĂartig!
Doch zurĂŒck zu Laura – entschuldigt bitte meinen kleinen Ausflug in die Gedankenwelt des Kindes. Noch im Zimmer bekam Stephanie ein eingewickeltes Geschenk ĂŒbergeben und meine Kleine fand mal wieder groĂen Gefallen daran, das Geschenkpapier zu zerreiĂen. Laura hat ein Erinnerungsbuch zusammengestellt, was die beiden im Nachhinein dann wohl auch noch gemeinsam durchgesehen und besprochen haben. Aber zunĂ€chst sind wir zu dritt in den Park zu unserer Lieblingsbank gegangen und nachdem ich sah, dass die beiden supergut miteinander zurechtkommen, habe ich mich verabschiedet und bin zu Carsten nach Hause gefahren. Sollten sie die Stunden doch ganz fĂŒr sich haben und genieĂen. Laut Laura hatten sie eine sehr schöne Zeit und auch fĂŒr Stephanie werden die Stunden zwischen 13:00 und 18:00 hoffentlich noch lange einen bleibenden Eindruck hinterlassen – Kurzzeit-gedĂ€chtnis hin oder her.
Noch einmal zurĂŒck zur Aussage, dass Stephanie sehr gerne drauĂen ist. Das hat zwei GrĂŒnde:
1.) Sie ist natĂŒrlich sehr neugierig und saugt alles um sich herum auf wie ein Schwamm. Aufgrund ihrer Art der Orientierungslosigkeit bzgl. des Sehens entgeht ihr zwar vieles oder sie braucht z.B. sehr lange, bis sie einen Vogel auf dem Weg vor ihr finden und fokussieren kann, aber dann ist ihre Freude natĂŒrlich umso gröĂer. Sie möchte auch so viel wie möglich anfassen und berĂŒhren – also im wahrsten Sinne des Wortes ihre Umwelt beGREIFEN …
2.) Ihr Zimmer liegt nach SĂŒden und die Sommersonne knallt deshalb unerbittlich rein, sodass es in ihrem Zimmer sehr schnell recht warm wird – sie kann ja selbst nicht raus, den Sonnenschutz schlieĂen oder sich gar im Bett anders hinlegen. Zudem ist es bei solchen Einrichtungen ja ĂŒblich, dass die Fenster aus sicherheitstechnischen GrĂŒnden nicht zu öffnen sind und somit kein Durchzug Erleichterung bringen könnte. Wer Stephanie genauer kennt, weiĂ ja wie sie zu sommerlicher WĂ€rme bzw. Hitze steht – Urlaub am Strand niemals, dann schon eher Island oder eine andere, kalte Destination. Deshalb sehnt sie sich derzeit immer nach jedem Luftzug (einen Ventilator hat sie schon) und genieĂt sehr gerne den Wind da drauĂen – ob natĂŒrlich oder kĂŒnstlich ist ihr wiederum gleich:
Unser Hauptaugenmerk bei den körperlichen Ăbungen (die Aussprache ĂŒben wir natĂŒrlich immer wieder durch den nebenbei gefĂŒhrten verbalen Austausch) galt diese Woche den Fingern bzw. der Fingerfertigkeit. Beim Spielen oder unbewussten Agieren setzt sie trotz der EinschrĂ€nkung durch die Spastik erfreulicherweise immer mehr die linke Hand ein, sodass eben nicht alles nur von „Rechti“ ausgefĂŒhrt wird. Sie kann mittlerweile sogar mit beiden HĂ€nden (besser: Zeigefingern) ihre Brille auf der Nase wieder hochschieben – „Linki“ ist dabei zwar die Unbeholfenere, aber Anfang der Woche war das sogar noch ein ganz unmöglicher Bewegungsablauf. Derzeit arbeiten wir noch an einem eigenstĂ€ndigen Absetzen der Brille, da sie die Finger der rechten Hand schon sehr gut als „Pinzette“ einsetzen kann und nicht wie ein Baby alles mit der Faust greifen will:
Doch ob man es glaubt oder nicht, das Schwierigste dabei ist nicht das Greifen mit den Fingern und die entspre-chende Bewegung des Arms, sondern das Finden eines Punktes in ihrem Gesicht, den sie nicht sieht. Sie kann sich nicht ans Ohr fassen oder auf die Stirn tippen (einen Vogel zeigen), da sie das zu berĂŒhrende Ziel einfach nicht mit den Augen fixieren kann – das Thema hatte ich ja schon einmal hier angesprochen. Also zerlegen wir derzeit komplexe BewegungsablĂ€ufe, die fĂŒr uns völlig easy erscheinen, immer wieder in Teilaufgaben, die es dann zuerst zu bewĂ€ltigen gilt. Zum Beispiel das Drehen einer 1-Euro-MĂŒnze mit in Fingern (klappt!), mit dem Zeigefinger die Nase, die Stirn und die SchlĂ€fe erst bei ihrem GegenĂŒber (leider haben wir keinen groĂen Spiegel fĂŒr sich selbst zur Hand) und dann bei sich berĂŒhren bzw. ertasten (klappt al einziges noch nicht), das Aufnehmen von Dingen vom Tisch mit nur zwei Fingern und das Drehen eines Flummis in selbigen …
… das Bewegen (Beugen, Strecken, Rotieren, BerĂŒhren) einzelner Finger, das sichere Halten und leichte Aus-balancieren von kleinen und groĂen BĂ€llen auf der HandflĂ€che, mit Griffsicherheit GegenstĂ€nde von A nach B bewegen oder auch einen Austausch von Gegenstand X in der rechten Hand und Gegenstand Y in der linken Hand, sodass sich am Ende beide GegenstĂ€nde jeweils in der anderen Hand befinden. Dazu kann sie entweder eine Ablage nutzen (sie muss dabei nur aufpassen, dass der Gegenstand nicht wegrollt oder herunterfĂ€llt) oder auch als Zwischenschritt beide GegenstĂ€nde kurz in eine Hand aufnehmen – nach ca. 20 Versuchen hatte sie den Dreh fĂŒr Variante 2 raus.
Und mit diesen Teilschritten können wir dann in der Regel auch wieder zur Gesamtaufgabe zurĂŒckkehren und ihr GefĂŒhl der Sicherheit und natĂŒrlich des Erfolges bei den kleinen Dingen mit in die GesamtkomplexitĂ€t einflieĂen lassen. Dabei entwickelt sie zum Teil auch schon dann unbewusst eigene Vereinfachungen und Verbesserungen. Also zurĂŒck zum Credo „Schrittchen fĂŒr Schrittchen“ sowie dem Mantra „ĂŒben, ĂŒben, ĂŒben“ đ
Als ich mal mit ihr ein Fotobuch angeschaut habe, erinnerte sie auch schon selbst an die notwendigen Bewegun-gen fĂŒr das UmblĂ€ttern – natĂŒrlich teilweise noch mit drei oder mehr Seiten gleichzeitig:
Die Texte bei solchen BĂŒchern liest sie auch schon durch, doch je lĂ€nger es dauert, desto schneller verliert sie die Lust – ihre derzeitige Aufmerksamkeitsspanne dĂŒrfte so ca. bei 20 bis 30 min liegen. Aber sie versucht es nach einer kleinen Pause immer wieder selbst und hat auch schon mal ganz ĂŒberraschend nach einem mit SchriftgröĂe 16 auf DinA4 ausgedruckten Brief gefragt. Sie konnte sich also erstens an diesen Brief erinnern und zweitens muss ich sie keineswegs zum Lesen zwingen oder dazu ĂŒberreden. Dieser Ehrgeiz ist jedenfalls Gold wert und hilft ihr sicherlich noch viel mehr, irgendwann einmal in ein eigenstĂ€ndiges Leben zurĂŒckzufinden.
Ăber ihren gesamten Rumpf hat sie jedenfalls noch keinerlei Kontrolle, denn als sie einmal im Rollstuhl die Arme nach vorne gestreckt hat, fiel sie völlig in sich zusammen und kam mit dem Körper aus eigener Kraft nicht mehr hoch. Zum GlĂŒck ist sie im Rolli immer angeschnallt. Erst als sie die Arme wieder an den Körper zurĂŒckgefĂŒhrt hat und einen kleinen Schubs von uns bekam, plumpste sie mit dem Körper zurĂŒck an die RĂŒckenlehne. Baustelle Nr. 23.564 … PrioritĂ€t mittel đ
Eines hat mich diese Woche aber noch sehr ĂŒberrascht: sie trinkt mittlerweile Kaffee mit Milch zum FrĂŒhstĂŒck und es schmeckt ihr sogar!!! Als ich vor ca. zehn Wochen mit einem Becher Latte Macchiato von McDonalds vor ihr stand und sie fragte, ob sie probieren wölle, war Kaffee fĂŒr sie noch eine Ausgeburt der Hölle … oder so Ă€hnlich đ
Aus unserer Beobachtung hat sich Stephanies Schlucken beim Essen und Trinken schon enorm verbessert. Mal schauen, ob vor der Entlassung noch eine Wiederholung der Schluck-Endo-Untersuchung (zweiter Absatz) statt-finden kann. Ich wĂŒrde unserer Kleinen doch so gern etwas Bissfesteres gönnen, denn derzeit ist ihr Mittagessen immer noch pĂŒriert …
Man sieht von Tag zu Tag eine kleine Neuentwicklung und selbst wenn diese fĂŒr eine Einstufung nach Bla-Bla-Index nicht relevant sind, bedeuten diese fĂŒr Stephanie und fĂŒr uns ein kleines StĂŒck ihrer zurĂŒckkehrenden SelbstĂ€ndig-keit. Und in Summe werden auch die kleinen Dinge irgendwann einmal groĂ, nicht wahr?
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