Jan
Was ist eigentlich euer Wissen über Botox ? Und an was denkt ihr, wenn ich euch sage, dass Stephanie fünf Botox-Spritzen bekommen hat ? Ihr habt Recht, mit einer Schönheits-OP hat das sicherlich nix zu tun …
Carsten und ich lernten diese Woche, dass das Neurotoxin Botox auch die Übertragung von Nervenimpulsen an die Muskulatur beeinflussen kann, d.h. durch die dadurch entstehende Hemmung sollen die punktuell behandelten Muskeln sehr viel entspannter sein (Webseite zum Nachlesen). Bei Stephanie wurden deshalb fünf, durch ihre Spastik extrem belastete Stellen für eine solche Behandlung bestimmt:
- an der linken Hand zwei Beugemuskeln im Handgelenk (immer angespannt)
- an der linken Hand zwei Beugemuskeln im Finger (immer angespannt)
- an der rechten Hand ein Beugemuskel am Ellenbogengelenk (immer gestreckt)
Erreichen möchte man damit eine Lockerung des Muskeltonus an den besagten Körperpartien und dann beobachten, wie das Kind am Ende darauf bzw. damit reagiert. Doch zunächst erfolgt mal wieder das altbekannte Warten, denn die Wirkung von Botox zeigt sich erst nach ca. zwei Wochen und hält dann in der Regel ca. drei Monate an. Danach wird sich zeigen, ob man ihr damit sehr helfen konnte, gewisse Muskelgruppen entspannter und somit schmerzfreier zu halten und ob das Resultat schon nach einer Behandlung bleibt oder ob man noch einmal nachspritzen muss. Erste Prognosen sind erst nach 3-4 Wochen möglich.
Zumindest der Eingriff am Dienstag ist schon mal sehr gut verlaufen und sie hat am Ende keine Einblutungen davongetragen – dies wäre bei ihrer Medikation mit Blutverdünnern eine der bekannten Nebenwirkungen. Sie war aber den ganzen Tag nur schlecht gelaunt, da die Spritzen und das sogenannte „Botulinumtoxin A“ einen kurzzeitig anhaltenden und brennenden Schmerz verursachen. Doch schon am Mittwochabend konnte sie bei meinem Besuch wieder lächeln.
Wohl gemerkt, das sollte jetzt keine Phrase sein oder nur als Sprichwort empfunden werden … Stephanie lächelt wirklich seit Montag!
Zuerst bemerkten das Pflegepersonal und ich nur leichte Züge eines (bewußten?) Lächelns, doch im Laufe der Woche zeigte Stephanie immer mehr ihre Zähne und das wohl auch gegenüber verschiedenen Leuten. Mittlerweile erkenne ich schon immer besser, ob sie an Bildern, Geschichten, Sprachnachrichten oder Videos richtig Freude hat oder nur angestrengt oder gelangweilt mitmacht. Ich finde das so toll!
Und vor allem dann, wenn ich eine solche Nachricht an der Pinnwand sehe: „Stephanie hat heute ganz viel gelächelt und auch richtig gelacht.“
Aber auch diese Zeilen haben mich sehr glücklich gemacht: „Steph war heute ca. 15 min im Kipptisch und die Augen waren die ganze Zeit geöffnet.“
Vom Kipptisch hatte ich ja schon mal Ende Dezember berichtet – diesen nennt man im Allgemeinen auch Stehbrett. Dabei wird der Patient (sorry, erwartet bitte kein Durchgendern von mir, denn für mich ist dies die Form sowohl für Männlich als auch Weiblich) auf einer Liegefläche fixiert und immer steiler aufgerichtet. Zum einen soll dadurch der Kreislauf an eine aufrechte Haltung gewöhnt werden und zum anderen ermöglicht dies eine sorgfältig dosierte Belastung der Beine und Füße, die ja nun seit fast 160 Tagen keine große Tragearbeit mehr zu verrichten hatten.
Stephanie jedenfalls startete mit 30 min auf 45 Grad Schräge und hat es wunderbar vertragen, sodass man am nächsten Tag schon gleich 60 Grad ausprobiert hat. Hier ging wie erwartet die Herzfrequenz bis auf 140 rauf (Anzeichen für Stress) und natürlich ist vor allem das linke, immer recht weit angewinkelte Bein noch nicht zu solch tragenden Einsätzen bereit. An der Stelle beginnt nun also das sehr gezielte Rehatraining, wie man es sich normalerweise als Laie so vorstellt.
Und was machen ihre anderen Therapien und Trainings?
- Eine Logopädin sagte mir, dass rein klinisch mit dem Schlucken alles perfekt ist und es nur noch an der Häufigkeit fehlt. Aber egal mit was geübt wird (warmen Tee, Wassereis, kalte Flüssigkeit – wohlgemerkt, alles im Bereich von 5-20 ml), sie macht immer sehr gut mit.
- Man benötigt bei ihr mittlerweile auch nur noch zwei Personen, um sie sitzend an die Bettkante zu bekommen, da sie schon selbst sehr viel eigene Stabilität mitbringt. So muss sie fast gar nicht mehr am Rücken bzw. Rumpf gestützt werden.
- Beim Entblocken zeigen sich ebenfalls immer wieder Fortschritte, sodass sie mittlerweile sogar schon zweimal täglich entblockt wird – wenn sie entspannt ist und gut mitmacht mit bis zu 90 min, wenn nicht, dann aber wenigstens die minimalen 30 min. So kommt man jetzt teilweise schon auf bis zu zwei Stunden … eine stolze Leistung wenn man bedenkt, dass sie im November gerade mal mit vier Minuten angefangen hat!
- Selbst wenn sie mal alle vier Orthesen gleichzeitig angelegt bekommen hat, zeigt sie keinerlei Unruhe – mal vom Vorgang des Anlegens und Entfernens an den Händen abgesehen, denn die Fussbe- und -entkleidung nimmt sie völlig gelassen hin. Eine Physiotherapeutin hat dies ebenfalls als eine sehr große Leistung gewürdigt, da manch andere Patienten mit so viel Orthesen fast schon regelrecht durchdrehen würden.
Man sieht, dass (wir) alle sehr über ihre Entwicklung begeistert sind, aber bei aller Euphorie werden wir dennoch immer wieder vom Fachpersonal auf eine weiterhin sehr lange Zeit eingestellt. So müssen z.B. trotz ihrer Erfolge beim Atmen und Schlucken voraussichtlich noch einige Monate ins Land gehen, bis man ihr u.a. das Tracheostoma entfernen kann. Wir werden diese Geduld mitbringen, versprochen!
In einem Arztgespräch haben wir auch vom nächsten Ziel bzw. Vorhaben erfahren: man will einen Code für ihre Antworten JA und NEIN vereinbaren … sei es durch Lächeln, Augenklimpern, Kopfnicken/-schütteln oder andere eindeutige Zeichen. Mal sehen, wofür sich Stephanie am Ende entscheiden wird. Bei meinen Besuchen versuche ich es jedenfalls schon seit Anfang der Woche mit dem (fast) weltweit üblichen Kopfbewegungen.
Mal schauen, welche Variante ihr am besten zusagt. Das wäre dann natürlich ein großer Schritt in Richtung bewusste Kommunikation! Derzeit muss mein Kind damit leben, dass ich bei meinen Besuchen in ihrem Zimmer die alleinige Entscheiderin darüber bin, ob vorgelesen oder geknuddelt wird, ob Sprachnachrichten dran sind oder Fotos geguckt werden. Ich schätze zwar, dass ich nicht immer ihren Wunsch treffe, auch wenn ich es stets versuche, aber zumindest widerspricht sie mir nicht lautstark 😉
Dennoch bin ich echt froh, dass ich über einen gewissen Anteil von Empathie als Teil meiner Persönlichkeit verfüge, denn damit versuche ich eben ihr jeden Wunsch im wahrsten Sinne des Worte von den Augen abzulesen. Das Lächeln macht mein Raten jetzt natürlich schön viel einfacher. Und das Personal auf der Station freut sich auch jedes Mal, wenn sie ihr das breite Grinsen entlocken können. Es ist jedenfalls immer noch das gleiche, strahlende Lächeln, was wir alle von ihr kennen … und wer weiß, vielleicht klappt es demnächst beim Entblocken mit Sprechventilaufsatz ja auch mal mit einem tönenden Lachen. Aber auch hier muss man sich wohl noch etwas in Geduld üben. Dabei habe ich mich eigentlich schon immer als einen ziemlich geduldigen Menschen gesehen – doch wie man es sieht: man wird alt wie eine Kuh und lernt immer noch dazu 😉
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