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Kommentar:   

 
Manchmal hat man eben Lust darauf, etwas zu schreiben   ;0)

 
Web|log,  der;  -s,  <engl.>,  meist abgekürzt mit "Blog"
   
Digitales Tagebuch im Internet. Ein Weblog ist eine Webseite, die periodisch neue Einträge enthält. Es ist ein Medium zur Darstellung des eigenen Lebens und von Meinungen zu oftmals spezifischen Themengruppen. Weiter vertieft kann es auch sowohl dem Austausch von Informationen, Gedanken und Erfahrung als auch der Kommunikation dienen und ist insofern mit dem Internetforum sehr verwandt. Die Tätigkeit des Schreibens in einem Blog wird als "bloggen" bezeichnet.

Quelle: http://www.wikipedia.de    


 
2021 27.
Jun

Carsten und ich hatten diese Woche Urlaub und somit waren wir nicht nur nach der Arbeit abends bei Stephanie im Krankenhaus, sondern auch schon mal aufgrund von Terminen vormittags sowie am frühen Nachmittag. Für das Kind definitiv ein Gewinn!

Ich versuche, die Zusammenfassung wieder in sinnvolle Blöcke zu unterteilen und fange mal mit der Aufgabe der Woche an … jedenfalls die, die Stephanie sich selbst gestellt hat. Dazu muss ich kurz ein wenig ausholen. Als sie weder trinken noch essen konnte, mussten natürlich Alternativen her. Die Nährstoffe bekam sie über einen Beutel direkt an ihr PEG (ihre Magensonde durch die Bauchdecke), was sich ja erledigt hatte, nachdem sie wieder ausreichend aß. Bis heute bekommt sie aber auch noch ihren Flüssigkeitsbedarf über dieses PEG, in der Regel verschiedene Tees aus einem hängenden Beutel ähnlich eines Infusionsständers.

Nun stellte man ihr Anfang der Woche in Aussicht, dass wenn sie ausreichend trinkt, auch der Beuteltee endlich wegfallen würde … und das hat sie so richtig angespornt. Vor ein paar Tagen konnte sie noch nicht einmal alleine den Becher vom Nachtschränkchen nehmen und trinken, da sie a) den (Schnabel-)Becher nicht immer gut in der Hand positioniert bekam und b) beim Absetzen noch zu viel verkleckerte. Doch jetzt mit Hilfe ihres selbst gesteckten Ziels „Der Schlauch muß weg!“ hing sie sich so richtig rein und bis zum Wochenende legte sie zumindest schon mal alle dafür notwendigen Grundsteine: sie nimmt jetzt mit der rechten Hand den (Schnabel-)Becher auf, führt ihn relativ zielsicher zum Mund, trinkt und schluckt wie man es von ihr erwartet und setzt den Trinkbecher auch wieder ohne großes Geschlabber zurück. Gestern Vormittag schaffte sie so schon an die 600 ml Trinken und in meinem Beisein (ich unterhielt mich gerade mit dem Pflegepersonal) leerte sie zudem schon wieder den nächsten Becher. Freiwillig und ohne Druck samt des Credos „üben, üben, üben“ scheint sie nun einen weiteren Meilenstein geschafft zu haben. Mal sehen, wann der Beutel tatsächlich verschwinden wird.

Und wie auch schon einmal von mir angesprochen, sind Carsten und ich jetzt definitiv sicher, dass man Stephanie mit einem Teller voller Essen (egal ob für die Finger oder einer Gabel portioniert oder auch zum Greifen und Abbeißen) und ihrer Trinktasse an einen Tisch setzen kann und sie würde schon ganz allein in Eigenregie essen können. Natürlich wenigstens noch unter direkter Beobachtung, falls doch mal etwas passieren sollte, aber eben nicht mehr zum stetigen Füttern. Leider ist das noch bei den Mahlzeiten notwendig, bei denen Löffel oder Messer und Gabel unabdingbar sind … aber an dieser Fingerfertigkeit werkeln auch schon mehrere – u.a. wir.

Da wir während unseres Urlaubs nicht auf ein strenges Zeitmanagement oder Arbeitszeiten angewiesen waren, konnten wir direkt nach ihren täglichen Therapien (i.d.R. gegen 15:30) auch mal etwas mehr Zeit für unsere eigenen kleinen Therapie- und Übungsansätze nutzen. Das mit dem Essen und Trinken sehen wir aufgrund der letzten Tagen als relativ erfolgreich abgeschlossen, denn es fehlt jetzt eigentlich nur noch das Feintuning. Als neuere Ziele haben wir uns nun sehr viel mehr Fingerfertigkeit der rechten Hand sowie überhaupt eine regelmäßige Nutzung der linken Hand (diese ist immer noch stark von der Spastik betroffen) vorgenommen.

Dass Stephanie die linke Hand mit der rechten kompensiert, sieht man daran, dass sie Dinge sehr schnell mit rechts aus der linken Hand nehmen und verwenden kann. Dementsprechend starteten wir die Aufgabe, einen Gummiball nicht nur mit links aufzunehmen und an rechts weiterzugeben, sondern eben auch in die Gegenrichtung. Es dauerte ein wenig, bis Stephanie die richtige Handpositionen für eine Übergabe gefunden hat, denn ihre beiden Handinnenflächen zeigen noch kontinuierlich nach unten oder höchstens zum Körper – eine Drehung der Handge-lenke kann sie mit eigener Muskelkraft leider noch nicht umsetzen. Aber selbst trotz dieser Einschränkung konnte sie in nur wenigen Tagen recht zielsicher etwas von links nach rechts übergeben (da war es wieder: üben, üben, üben).

Also haben wir gegen Ende der Woche weitere Aufgaben mit in unser Trainingsprogramm aufgenommen: sie kann jetzt schon mit den einzelnen Fingern ihrer rechten Hand Holzklötzchen aufnehmen und diese mit etwas Finger-spitzengefühl (und Geduld!) zu einem Türmchen stapeln – Maximum = 5 Klötzchen … mehr haben wir im Zimmer leider nicht zur Verfügung.

Das gleiche Ziel erreichten wir auch schon mit hohlen Plastikbechern, die Stephanie der Größe nach zu einen Turm aufstapeln kann – da hier aber mehr Präzision beim Aufsetzen bzw. Feinmotorik als bei den Holzklötzchen erforderlich ist, ärgert sie sich am Ende umso mehr, wenn der Turm vorzeitig einstürzt. Doch wer sie kennt weiß: sie lässt nicht locker, bis es nicht mindestens einmal geklappt hat!

So nutzen wir hauptsächlich Spiel und Spaß für unsere Bewegungs- und Koordinationstrainings, aber selbst bei offensichtlichen Muskelübungen macht sie bislang viel mit und freut sich selbst wie Bolle über die Erfolge. So hat Carsten z.B. mal eine Stange „gebaut“, mit der wir nun die Drehung der Handgelenke üben wollen, sowie hoffentlich etwas mehr Beweglichkeit in ihren Rumpf bekommen können:

Und glaubt mir, auch für uns sind solche Übungen – selbst als „Lehrer“ – mehr als anstrengend …    😉

Derzeit liebt sie aber besonders das Zuwerfen von Bällen oder Gegenständen (z.B. Taube Elfie), die sie zuerst auf dem Bett oder an ihrem Körper suchen muss, dann natürlich vornehmlich mit der rechten Hand aufnimmt und nach Aufforderung an eine Person im Raum weitergibt oder sogar auch schon etwas zurückwirft. Ja, auch hier herrscht wieder mal eine große Lücke zwischen unserem „ist doch leicht“ und dem für sie recht komplizierten Ausführen einer Vorwärtsbewegung mit gleichzeitigem Loslassen – am Ende dann doch gar nicht sooooo einfach!

So wurde zudem mal wieder der Volleyball aus dem Schrank geholt und sie hat sofort vor Glück strahlende Augen bekommen. Den wirft sie natürlich noch nicht, aber sie kann ihn schon mit beiden Händen annehmen oder vom Bett aufheben und an jemand anderen weiterreichen. Als Carsten sie aufforderte, doch mal gegen den Ball zu schlagen, sagte sie sofort „Wie beim Abschlag!“ … dies erneut ein Erinnerungsfetzen aus der Vergangenheit, der in dem Moment sofort abrufbar war. Doch an einfachen Alltagsbegriffen und / oder vor Kurzem ereignete Dinge scheitert sie leider immer wieder …

Ich nehme dies jetzt mal als Übergang vom körperlichen Training zum geistigen – hier wartet auf alle Beteiligten noch eine sehr sehr große Baustelle. Stephanies Kurzzeitgedächtnis ist … hmmm, mir fehlen die richtigen Worte    🙁    … vielleicht etwas seltsam strukturiert?!? Sie kann sich nämlich nicht immer erfolgreich an allgemeine Dinge erinnern, wie z.B. was es zum Frühstück bzw. Abendessen gab oder wer gerade dies oder jenes (z.B. Orthese angelegt) gemacht hat oder wer sie heute schon im Zimmer besucht hat. Andererseits lernt sie die Namen der Personen um sie herum sehr schnell und selbst ein so komplizierter Name wie Basheer Farsherat (der Name ist aus Datenschutzgründen etwas verändert worden) wusste sie selbst noch, nachdem dieser Arzt aus dem vierwöchigen Urlaub zurückgekehrt war und nun vor ihr in ihrem Zimmer stand – nee nee, ohne Namensschildchen lesen! Darauf hatte der gute Mann schon geachtet    😉

Es lässt sich also nie genau sagen, ob ihr Kurzzeitgedächtnis funktioniert oder nicht, denn manchmal ja, manchmal aber auch nicht. Und genau so ist es bei Alltagswörtern, denn sie erkennt eine Gabel und einen Löffel auf Anhieb, aber ein Messer und auch einen Teller kann sie nicht benennen, wenn man es ihr zeigt. Oder sie kennt Wörter bzw. reagiert adäquat auf Sprüche und Phrasen, die eigentlich nicht sehr alltäglich sind … der Oberarzt bei der Visite: „Sie sitzt da wie ein Pascha.“ … Stephanie lachte sehr herzlich über diesen Satz … woher kannte sie noch den Begriff Pascha?

Und genau bei dieser Visite stellte der Oberarzt im Beisein von uns, der Pflegedienstleitung und oben genanntem Arzt noch die Frage, wie sie denn die neue Station so findet und von ihr kam ein recht enttäuschendes „Geht so.“ … *SCHLUCK* … dann aber auch gleich der Nachtrag:“So viele neue Namen!“ … *PUH*

Aber zurück zum geistigen Zustand. Seit knapp zwei Wochen versuche ich, ihr diese sechs Memory-Kärtchen beizubringen:

Also noch kein richtiges Memory spielen, sondern erst einmal nur das Bestreben, ihr die Symbole auf diesen sechs Kärtchen ins Bewusstsein zu pflanzen. Das Huhn bleibt für sie wohl immer ein Hahn (oder Vogel) – geschenkt. Die Wolke erkennt sie mittlerweile auf Anhieb – wenigstens eines. Aber den Rest, also Apfel, Birne, Möhre und Regenschirm, erkennt sie einfach nicht … selbst nicht nach zahlreichen, aber vom Wort noch nicht zu viel verratenden Hinweisen, wie z.B. „Das frisst der Hase gerne“, „Man hält es zum Schutz in der Hand“ (bei Regen wäre zu einfach!) oder „Dieses Obst isst jeder Deutsche gerne“. Klar, auch ich weiß, das diese Fähigkeit sicherlich mal wieder zurückkommen wird, aber ich finde es schon recht schräg, wenn man mit ihr mehrere Tage hintereinander nur diese paar Bildchen durchgeht und sie am nächsten Tag leider immer wieder bei Null anfangen muss.

Ein völlig anderes Bild dann wieder bei mathematischen Aufgaben (mittlerweile ist es egal, ob es abgelesene oder ausgesprochene Zahlen mit Rechenzeichen sind) oder anderen Dingen, die vermeintlich komplizierter sein sollten. Hier z.B. meine gestrigen Fragen aus dem „Übungsbuch Hirnleistungstraining“:

Vervollständige: Am liebsten esse ich … „Käsekuchen“ (eindeutig etwas aus der Vergangenheit)
Vervollständige: Abends mache ich oft … „Fernsehen“ (aktuelles Geschehen)
Vervollständige: Ich finde es schrecklich, daß … „ich so viel vergesse“ (sie ist sich der Lage bewusst)
Vervollständige: Am meisten habe ich Angst davor, daß … „ich nicht gesund werde“ (vorausschauend)
Wahr oder Falsch: Ein Dutzend sind 12 Stück … „Richtig“ (das kam dann auch ohne große Überlegung)
Einmal fiel das Wort Bier und sie meinte, dass sie richtig Lust darauf hätte …

Natürlich hat sie auch bei vielen Fragen nicht immer richtig gelegen oder die oben genannten Lücken bei den Alltagsgegenständen taten sich auf:

Wahr oder Falsch: Eine Gabel ist größer als eine Mistforke … „Was ist eine Mistforke?“
Wahr oder Falsch: Die Sekretärin öffnet die Briefe mit dem Handfeger … „Was ist ein Handfeger?“

Hier mal ein direkter Bezug zu meinen oben getroffenen Aussagen bei einem Kartenspiel, wo anhand von Motiv, Farbe oder Anzahl ein Anlegen möglich sein soll oder nicht. Denn während einer Ergotherapie mit Schwerpunkt Hirnleistungstraining – Carsten und ich waren nur zufällig anwesend – wurden wir prompt zum Mitspielen eingeladen. Zu viert spielten wir also das Kartenspiel „Speed“ , bei dem eine Karte je nach Motiv (Ballon, Tanne, Fahne, Stern Haus & Drache) …

… Farbe (blau, grün, gelb, lila, rot & schwarz) oder der Motivanzahl (1-5) abgelegt werden sollte. Wir kommunizierten sehr viel mit Stephanie, was genau sie auf ihrer Karte und den dreien auf dem Tisch erkennen könne bzw. was man richtig zuordnen könnte. Sie hatte Spaß, war beim Spielen sehr konzentriert und bewies Überblick sowie ein Ver-ständnis für das Spiel, aber leider stimmte immer nur die Anzahl der Motive bei ihr, bei der Farbe hatte sie manch-mal ihre Schwächen und bei den doch recht eindeutigen Motiven (s.o.) erkannte sie fast nie eine Übereinstimmung zu den Karten auf dem Tisch und der in ihrer Hand. Auch hier also wieder deutlich ihre Stärken im mathematischen (Anzahl) und ihre Schwächen beim Verarbeiten von Bildern (Motiv).

Zum jetzigen Zeitpunkt und in ihrem Zustand ist dies sicherlich nichts, was einen beunruhigen oder gar verängsti-gen sollte – aber mal ehrlich, wir haben doch bislang alle gedacht, dass das Sehen und Wahrnehmen mit die einfachste Form der Verarbeitung im Hirn sein dürfte. Schließlich ist dies gefühlt doch mit das Selbstverständlichste auf unsere Sinne bezogen, oder liege ich mit meiner Meinung da so sehr daneben?

Zum Glück zeigen ihre derzeitigen Fortschritte (die jetzt übrigens wohl auch zu einer Aufenthaltsverlängerung im Krankenhaus bis zum 1.8. geführt hat) aber, dass Stephanie noch lange nicht am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt ist. So konnten wir in den letzten Tagen und Wochen bei ihr schon wieder diese Dinge üben und sie für eine eigenständige Durchführung verinnerlichen:

  • ihre Brille mit dem gestreckten Zeigefinger der rechten Hand hochschieben
  • aus der Schnabeltasse trinken (vom Tisch nehmen, trinken, absetzen)
  • einen Gegenstand von der linken in die rechte Hand und umgekehrt übergeben
  • Essen mit den Fingern oder einer Gabel vom Teller nehmen, abbeißen und den Rest wieder zurücklegen

Und das sogar bei der Bullenhitze, die in der letzten Woche über Deutschland und den Norden hinweg gezogen ist. Stephanies Fenster liegt leider genau zur Südseite und aus versicherungstechnischen Gründen lassen sich diese nicht öffnen – nur ein kleines Oberlicht kann Frischluft spenden. Anfangs musste Carsten noch als Handtuch wedelnder Kältespender ran und sie hat es richtig genossen …

… aber seit Dienstag hat sie nun auch einen Miefquirl a.k.a. Standventilator neben dem Bett stehen. So lässt es sich bestimmt etwas besser aushalten und die nächste Hitzewelle rollt ja schon wieder auf uns zu.

Stephanie scheint zudem auch mittlerweile sehr gut auf der neuen Station angekommen zu sein und fühlt sich dort so richtig wohl, denn wo sie anfangs noch gegen den Speisesaal war und lieber alleine im Zimmer essen wollte, antwortete sie einmal im Laufe dieser Woche auf die Frage einer Schwester, ob sie im Rolli mit in den Speiseraum kommen will, mit einem deutlichen „Ja“. Carsten und ich waren gelinde gesagt etwas überrascht …

Wir nutzten unseren Urlaub auch dazu, einmal bei der Chefarztvisite am Mittwochmorgen anwesend zu sein und das Fazit ist, dass man weiterhin sehr mit ihrer Entwicklung (auch nach dem Stationswechsel) zufrieden ist. Die linke Hand bleibt ein wenig das Sorgenkind (evtl. später noch einmal Botoxen) und die Pflege arbeitet als nächstes Ziel mehr am selbstständigen Essen und Trinken sowie ggf. am eigenständigen Waschen, Zähneputzen und Kämmen – natürlich immer mit einem Blick auf den Singer-Index (als PDF).

Zum Abschluss noch diese kleine Anekdote:
Ich sollte ihr gestern den aktuellen Blogeintrag vorlesen und sie fand alles ganz toll … nur der sinngemäße Satz „25 Jahre alt, aber manchmal wie eine Dreijährige“ fand sie etwas enttäuschend. Aber sie will unbedingt weitermachen und weiter so tapfer durchhalten – TSCHAKKA!!!



2021 20.
Jun

DAS zentrale Thema dieser Woche ist natürlich der Besuch von Andrea und Karl, die extra für Stephanie aus der Steiermark (Österreich) vorbeigekommen sind, denn vor Kurzem fielen endlich die bislang verhindernden Corona-Beschränkungen. Besonders die, dass nach grenzüberschreitenden Reisen nun keine Quarantäne mehr nötig ist. Diese Chance für einen ersten Besuch seit der Verlegung in den Hohen Norden ließ sich ihre große Schwester nicht entgehen. Und auch wenn der Anfang des Aufeinandertreffens sicherlich etwas enttäuschend war (Stephanie hat Andrea live nicht auf Anhieb erkannt) wurde es insgesamt eine supertolle Zeit und beide haben in den vier Tagen (Montag bis Donnerstag) jede gemeinsame Minute sichtlich genossen:

Ich möchte an dieser Stelle einmal kurz ein paar Antworten auf einen Kommentar zum vorherigen Blogeintrag geben. Ja, vor dem Vorfall im August letzten Jahres hatten die beiden immer einen sehr engen Kontakt, wenngleich zwischen ihnen auch ca. 600 km Luftlinie gelegen haben – Stephanie wohnte in Potsdam bzw. in Berlin bei ihrem Freund und Andrea mit Karl in Leoben, Österreich. Wenn sie sich nicht gerade gegenseitig besucht haben oder zu anderen Gelegenheiten, wie z.B. Familienfesten, etc., zusammenkamen, dann hatten sie zumindest viel Kontakt via Skype, Telegram, Instagram oder anderen elektronischen Diensten. Sie haben eben schon immer wie Pech und Schwefel zusammengehalten und wenn sie aufeinander trafen, waren andere um sie herum mehr oder weniger abgemeldet. Ich erinnere mich dabei an eine Autofahrt von Dresden nach Berlin im Sommer 2019, bei der die beiden quatschend auf der Rücksitzbank saßen … Carsten und ich hatten dabei komplett Sendepause. Sie machten ihre Späßchen (die zum Teil auch nur sie lustig fanden oder verstanden), giggelten wie Teenager und wenn dann doch mal eine Frage von vorne nach hinten gestellt wurde, musste zuerst noch einmal von ihnen nachgefragt werden, denn beide waren voll aufeinander konzentriert.

Dementsprechend war natürlich der August 2020 eine große Zäsur. Die Große hatte vor den Beschränkungen durch Corona noch ein paar Mal die Gelegenheit, Stephanie auf der Intensivstation der Charité zu besuchen, aber zu dem Zeitpunkt war ihre Schwester natürlich noch nicht ansprechbar – aufgrund des Wachkomas bzw. der Vollsedierung. Danach hat Andrea uns immer wieder mal etwas zugeschickt, was wir der Kleinen dann im Krankenhaus auf dem iPad abgespielt haben: Audiodateien („Gelaber“ wie sie es nannte, Vorlesen aus einem Buch) als Stephanie noch nicht ansprechbar war bzw. nicht reagieren konnte, weitere Audioaufnahmen, als sie so langsam aufwachte, und danach dann immer wieder mal Videos mit Erzählungen aus dem täglichen Leben, Erinnerungen aus alten Tagen, Fotostreifzügen nach Themen (z.B. schreckliche Outfits auf alten Fotos, Postkarten aus aller Welt), sowie Spiele zum Mitmachen und Trainingseinheiten (z.B. Tiergeräusche oder Lieder erkennen, gemeinsame Zungenbewegungen).

Natürlich hatte ich mit Stephanie schon seit ca. einer Woche den Besuch der großen Schwester vorbereitet und mit ihr viele Fotos und Videos geguckt sowie die Tage heruntergezählt. Dann kam endlich der große Tag … und Stephanie hat ihre Schwester im Zimmer nicht wiedererkannt bzw. auf Nachfrage wer das denn sei, leider den Namen einer von ihr heiß geliebten Pflegekraft genannt. Für uns eben auch wieder ein Beispiel dafür, dass dieses Köpfchen sehr viel abbekommen und das Gehirn sicherlich sehr viel verloren hat oder darin noch sehr viel aufgeräumt und neu verknüpft werden muss. Erst als der Name Andrea fiel, wurde ihr bewusst, dass ihre „Eumy“ endlich zu Besuch da ist. Von Montag bis Donnerstag war die große Schwester jedenfalls immer mit dabei und der Rest, also Karl und Carsten, teilte sich dynamisch mit rein, damit man nur zu zweit oder zu dritt im Zimmer war. Denn bei vier Leuten hat Stephanie schon den Überblick verloren und war mit der Situation insgesamt etwas überfordert – einfach viel zu viel Tumult um sie herum. Das zeigte sich z.B. ganz schnell am allerersten Tag, wo wir zuerst noch für das erste Aufeinandertreffen gemeinsam zu viert im Raum standen und sie völlig aufgedreht und trotzdem verwirrt wirkte. Erst als Carsten und Karl spazieren gegangen sind, konnte sie sich völlig auf Andrea konzentrieren und ihre Freude endlich in vollen Zügen genießen.

Da wir nun seit der Verlegung von den ärztlichen und therapeutischen Dingen nicht mehr so viel mitbekommen (es spielt sich ja jetzt leider nicht mehr alles im Zimmer oder auf der Station ab), konzentrieren wir uns derzeit mehr auf Quatschen, Abläufe wiederholen, Neues üben, Körpermuskeln trainieren, Lernen, Spielen, Spaß haben und immer wieder mal das herauskitzeln, was da noch im Gedächtnis geblieben ist bzw. was sich neu verknüpfen müsste.

Beim Quatschen werden Ereignisse des Tages oder der Woche zusammengefasst und durchgesprochen, Fotos gezeigt und damit Dinge abgefragt (wer, wo, wann) oder Stephanie auf zukünftige Besuche vorbereitet – in der Arbeitswoche waren Andrea und Karl da, am heutigen Sonntag der leibliche Vater.

Beim Wiederholen von Abläufen versuchen wir das Erlernte zu festigen, Bewegungen zu verfeinern und wie bei einer Konditionierung bestimmte Zeichen oder Hinweise einzuüben. Hierzu gehören zum Beispiel die Sätze „Schieb mal bitte deine Brille hoch.“ (sie ballt die rechte Hand zur Faust, sucht damit die Nasenspitze und drückt idealerweise mit dem Handrücken am Mittelsteg die Brille in die richtige Position), „Hol die Elfie!“ (sie sucht die Umgebung nach ihrer Stofftiertaube ab, fokussiert sie und versucht dann mit ihren Händen nach ihr zu greifen) oder den Gruß „Kartoffel … Pommes“ (bei Kartoffel wird die Hand zur Faust geballt, bei Pommes erwartet man eine flache Hand mit gespreizten Fingern).

Beim Üben von Neuem wollen wir ihr immer wieder neue und nützliche Dinge beibringen, die sie zum einen herausfordern, zum anderen aber auch Langeweile vermeiden sollen. Essen mit den Fingern kann sie ja schon seit ein paar Wochen, gestern versuchte ich es mal mit dem selbstständigen Trinken aus einer Schnabeltasse und dem Abwischen des Mundes mit einer Serviette – das dauert sicherlich noch ein paar Tage, doch die Ansätze waren schon gut. Am Freitag hat sie der Logopädin und uns sogar schon zeigen können, dass sie mit einer Gabel etwas aufpieksen und in den Mund stecken kann … die Ergebnisse teilen sich aber leider noch in „Stück im Mund“ = 60%, „leere Gabel im Mund“ = 40% und „Sauerei auf dem Lätzchen“ = 20% auf. Vorrangig konzentrieren wir uns derzeit aber noch auf die Hände und Arme, damit sie mit mehr Bewegungsfreiheiten (hochgehobene Oberarme, Drehung in den Handgelenken, koordiniertere Fingerfertigkeiten) und Feingefühl (Druck, Ablegen) sich vielleicht bald auch mal mit einem Buch, einem eBook oder dem Nutzen der TV-Fernbedienung auseinandersetzen kann.

Beim Trainieren der Körpermuskeln liegt der Fokus natürlich auf einem spielerischen Gebrauch und Ausnutzen aller Bewegungsfreiheitsgrade, ohne dass Stephanie lange darüber nachdenken muss oder Schmerzen hat. Dazu nutzen wir das Weitergeben von Bällen zu allen Seiten, das Heben und Senken von Gegenständen in bestimmte Richtungen, das Massieren, Halten und „Verbiegen“ von Körperteilen oder auch das oben genannte Fingerspiel „Kartoffel / Pommes“.

Beim Lernen sind wir von den zu erwartenden Leistungen einer 25-jährigen natürlich noch ganz weit entfernt, aber manches ist auf Grundschulniveau und manches sogar schon fast 8./9. Klasse. Jedenfalls macht ihr das Abfragen sehr großen Spaß, sei es die immer von ihr gewünschte Mathematik (Zahlen bis 20, alle Grundrechenarten), diverse Sprachen (Englisch, Französisch und ein wenig Russisch), das Lesen (Buchstaben und Wörter kennt sie noch), das Allgemeinwissen (Namen von Gegenständen, Musik) oder andere Felder des allgemeinen Lebens. Insbesondere für ihre Kommunikation und den Konversationen bringt ihr das immer wieder einen gewissen Vorteil, denn sie weiß mittlerweile auch schon, wie man Gespräche für beide Seiten durchaus interessant halten kann.

Beim Spielen denken wir natürlich in erster Linie an Beschäftigung und Spaß haben, versuchen darin aber auch gleich schon viel vom Erlernten, Geübten und Trainierten mit unterzubringen. Also z.B. Seifenblasen machen (Pusten), Kartenspiele (Fingerfertigkeit und Lesen), Ballspiele (Bewegungen), Turmbau mit Gegenständen (Koordination und Druck) oder auch „Walisch“-Sprechen wie bei „Findet Nemo“ (ganz ehrlich, manchmal sind ihre „walisch“ gesprochenen Sätze so sogar besser zu verstehen)    😉

Der Spaß steht für alle natürlich immer im Vordergrund und davon ist stets genug im Raum. Sei es durch Musik, durch die Besucher oder die Situation – es wird viel gelacht, herumgeblödelt, Faxen gemacht und herumgealbert. Manchmal lacht Stephanie aber auch aus vollem Herzen ohne großen, vorherigen Witz: Olga niest, das Kind lacht Tränen und auf die Frage „Warum?“ antwortet sie nur „Weiß ich nicht!“. Doch wer sie kennt weiß, dass um sie herum und mit ihr Freude und Heiterkeit immer in der Nähe sind, gell?

Und genau diese ganzen Dinge haben von Montag bis Donnerstag auch Andrea und Karl mit sehr viel Ehrgeiz mitgemacht und Stephanie hat sicherlich sehr davon profitiert:

Am Freitag allerdings waren Carsten und ich schon wieder alleine an der Front und hatten zudem auch noch ein Gespräch mit ihrer derzeitigen Logopädin, die uns und das Kind gerne kennenlernen, ihre durch uns erhaltenen Fähigkeiten sehen (steht ja nicht mehr in irgendeinem therapeutischen Übergabeprotokoll) und vor allem ihr weiteres Vorgehen vorstellen wollte. Diesmal hat Stephanie bei dieser Testsituation sehr gut mitgemacht und somit konnte sie der Logopädin zeigen, dass sie bereits mit den Fingern essen (Würstchen oder Käsestange greifen, abbeißen und zurücklegen) und sogar richtig gut kauen und schlucken kann. Bei ihr hat sie sogar das oben beschriebene Essen mit der Gabel recht gut hinbekommen, denn des Öfteren konnte sie ein vorgeschnittenes Häppchen Kaiserschmarrn mit Vanillesoße erfolgreich zum Mund führen und in den selbigen stecken. Die Logopädin ist mit dem Schlucken schon sehr zufrieden und sie berichtete, dass Stephanie bis zum Mittag auch schon ganze 500 ml Flüssigkeit (i.d.R. Wasser mit Andickungsmittel) getrunken hat und insgesamt eigentlich alles ganz gut klappt … beim Schlucktraining, Kehlkopftraining etc. macht sie nicht nur mit, sondern adaptiert auch recht schnell das Erlernte. Außerdem findet die neue Logopädin Stephanies Sinn für Humor ganz toll    🙂    und sie möchte uns noch weitere Infos und Trainingsunterlagen zukommen lassen, damit auch wir an ihrem Konzept anknüpfen können.

Erst als die Therapeutin weg war, zeigte sich bei Stephanie der Nachteil eines Kaiserschmarrns – teilweise zu trocken, aber am Ende nach dem Kauen auf jeden Fall eine viel zu klebrige Masse. Jetzt verschluckte sie sich leider immer öfters … aber das war im Nachgang schon wieder Geschichte, denn mit dem Vertilgen von Erdbeeren klappte es wieder bestens!

In der kommenden Woche haben Carsten und ich Urlaub und auch diesmal steht bei uns nicht das Reisen im Vordergrund … Corona und Stephanie. Wir wollen unseren Alltag an den fünf Tagen plus zwei Wochenenden ein wenig entschleunigen. Die dadurch gewonnene Zeit und Kraft werden wir dann sicherlich vorrangig in gemeinsame Stunden mit unserer lebensfrohen Kämpferin investieren – da haben wir alle zweifelsohne ganz viel Spaß!

Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass Stephanie den Ohana-Spruch aus „Lilo & Stitch“, unserem Familienfilm, ohne Probleme komplett aufsagen kann? „Ohana heißt Familie und Familie heißt, dass alle zusammen halten und füreinander da sind“ …. das ist schon seit Jahren unser Lieblingsspruch und er hat aus meiner Sicht in der jetzigen Situation noch einmal enorm an Bedeutung dazugewonnen. Ich schätze, Stephanie sieht es genauso!

Zum Abschluss noch die Antwort zu einer weiteren Frage aus einem Kommentar zum vorherigen Blogeintrag: „Außerdem würde mich interessieren was für Behinderungen die jungen Menschen haben mit denen Stephanie nun zusammen ist, z.B. im Essenszimmer?

Wir haben bislang in dieser Intensiv- und Rehaeinrichtung verschiedenste Krankheitsbilder kennenlernen dürfen. Zum einen natürlich das, was auch Stephanie hat: eine Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff aufgrund eines Unfalls, einer Krankheit oder eines Suizidversuches. Aber auch neurologische Schädigungen aufgrund einer nicht erfolgreich verlaufenen Operation am Rücken, Kinder mit Down-Syndrom/Trisomie 21, Muskelerkrankungen, Krebserkrankungen mit neurologischen Komplikationen oder auch Epilepsie werden hier behandelt.

@Daniela: Hoffentlich ist Deine Frage damit ausreichend beantwortet, doch wenn nicht, dann schreib mir doch bitte eine Email oder Fazzebuck-Nachricht und ich gucke mal, was ich sonst noch so in Erfahrung bringen kann.



2021 13.
Jun

Das erste Highlight dieser Woche ist schnell erzählt, macht aber etwas nachdenklich: gestern war bereits ihr 250. Tag in der Rehaklinik … d.h. zudem, dass übernächste Woche schon ganze 300 Tage seit ihrer Lungenembolie vergangen sein werden (heute ist Tag 291) – Wahnsinn, oder? Wo ist nur die ganze Zeit geblieben?!?!

Und wie schon letzte Woche im Schlussabsatz angekündigt, ist Stephanie am Dienstag auf dem Weg ihrer tollen Genesung in das mittlerweile vierte Zimmer eingezogen: am 26. August 2020 kam sie auf die internistische Intensivstation der Charité, wechselte am 4. September auch die neurologische Intensivstation der Charité, am 5. Oktober 2020 fuhr sie ca. 300 km zur Intensiv- bzw. Beobachtungsstation der Rehaklinik und nun am 8. Juni 2021 reichten ca. 80 m aus, um auf die Reha- & Therapiestation der Rehaklinik zu gelangen. Allerdings wird sie nun zum ersten Mal bewusst mit den damit einhergehenden Veränderungen konfrontiert, denn bei den ersten drei Umzügen war sie ja noch im Wachkoma bzw. sediert.

Während sie also am Montagabend quasi fast ohne unser ständiges Zureden bezüglich Kauen, Abbeißen, Schlucken und Abhusten ein Würstchen und eine Camembert-Ecke aß, habe ich mit Carsten alle Fotos von den Wänden genommen, ihren Schrank ausgeräumt und auch so alles aus Zimmer und Bad zusammengetragen, was sich dort so überall in den letzten Monaten verteilt hat.

Zum Glück konnten wir die Transportkörbe schon mal ins neue Zimmer bringen und brauchten somit nicht zum eigentlichen Umzug Dienstagvormittag mit anwesend sein. Stephanie jedenfalls mümmelte so vor sich hin und guckte uns beim Abbau zu. Das mit dem Essen klappt unserer Meinung schon supergut, nur beim Trinken brauchte sie leider noch unsere volle Hilfe. Während des Essens hat sie sogar mit Elfie gespielt und sich mit uns unterhalten – ihr erinnert euch: in der Regel kann sie sich immer nur auf eine Sache fest konzentrieren.

Von der bisherigen Stationsärztin bekamen wir diesbezüglich auch die tolle Neuigkeit, dass ihr aktueller Singer-Index (als PDF) nun bei 13 Punkten liegt und sie deutliche Verbesserungen beim Sprechen und sozialen Verhalten zeigt … am 16. Mai waren es noch 9 Punkte.

Vor allem das Sprechen rückt für uns derzeit gewaltig in den Vordergrund, denn nach dem Umzug – so haben wir es zumindest in dieser ersten Woche empfunden – konnten wir bislang nur sehr wenige unserer bisherigen Arme- und Händeübungen durchführen, da sie nun vornehmlich im Rollstuhl sitzt und ihr (noch) so etwas wie ein Tischchen oder eine Ablage fehlt. Also verlegen wir unsere Übungen derzeit mehr in die Durchführung vieler und langer Gespräche, das Stellen und Beantworten von Fragen und die Vorbereitung darauf, dass morgen ihre Schwester aus Österreich für ein paar Tage in den Hohen Norden kommt.

Natürlich auch zu ihr, denn darauf freut sie sich wirklich am meisten und Stephanie zählt schon fleißig die Tage bzw. wie oft sie noch schlafen muss … wir sind echt gespannt, wie deren Aufeinandertreffen ablaufen wird. Vielleicht bin dann sogar ich für diese Woche ganz abgemeldet?    😉

Aber zurück zu ihren ersten Stunden auf der neuen Station – sie wird wohl noch ein paar Tage brauchen, um sich von der bisherige Ruhe des Einzelzimmers sowie der zahlreichen Vor-Ort-Therapien an das jetzt vorherrschende, ständige Setzen in den Rollstuhl und die vielen Ausfahrten zu gewöhnen. Jetzt geht es stattdessen nämlich dreimal täglich in einen Essensraum, alle Therapien finden eine Etage tiefer statt und auch wir werden mit Sicherheit jede Gelegenheit nutzen, um mit ihr bei schönem Wetter in den Park oder auf den Balkon der Station zu gehen.

Als wir mit ihr am Dienstagabend im Park direkt neben einem Kinderspielplatz verweilten, war es ihr schon nach 10 min viel zu tumultig. Selbst ein Stückchen weiter weg war für sie noch viel zu viel Gewusel im Sichtfeld und auch die Stimmen vom Spielplatz waren zu hören – denn so konnte sie leider nicht den Vögelchen beim Zwitschern lauschen. Erst, als wir einen anderen grünen Innenhof angesteuert haben, fühlte sie sich wohl und wir konnten uns wieder gut mit ihr unterhalten, um z.B. auch Wörter und deren Aussprachen zu üben.

Gegen 17:30 schoben wir Stephanie in den Essensraum und das war natürlich etwas völlig Neues und Ungewohntes für sie. Denn in diesem Zimmer saßen mit ihr nun sechs andere Kinder und junge Erwachsenen, meist in Rollstühlen und zum Teil auf Stühlen an den 2er-Tischen, und warteten gemeinsam auf den Essenswagen, von dem man sich dann das Abendessen aussuchen konnte. Als Neuling wurde sie natürlich von allen angeguckt und sie wurde auch angesprochen, deshalb war sie sichtlich etwas überfordert mit der Gesamtsituation. Beim Essen mochte sie erneut den Tumult um sie herum nicht und vor allem, als jemand einen Teller hat fallen lassen, gab es für sie eigentlich nur noch einen Wunsch: zurück ins Bett!!! Wir bereuten in dieser Situation nicht, dass wir zumindest beim allerersten Mal in dieser Umgebung mit dabei sein konnten. Sie entschied sich dann bei der Essensauswahl für Weißbrot mit Butter und Kräuterschmelzkäse und wir haben das Schmieren und das Füttern übernommen. Somit hatte sie jedenfalls schon mal die Möglichkeit, dem Pflegepersonal zu zeigen, dass sie selbstständig mit den Fingern essen kann.

Zurück im Zimmer konnten wir dann die folgende Stunde dieses dekorieren, indem wir die Fotos und Bilder wieder an die Wand klebten, für die sie sich entschied. Ich zeigte ihr jedes einzelne, zusammen ging man die Namen der zu sehenden Personen und die Situationen durch und Stephanie entschied dann mit Ja, Nein und Vielleicht. Am Ende musste sie auch für die Bilder aus dem „Vielleicht“-Haufen eine definitive Entscheidung treffen. Ich finde, das hat sie echt gut gemeistert!

Da wir jetzt während unserer Besuchszeiten nicht mehr so viel in Kontakt mit dem Pflegeteam und vor allem mit den Therapeuten oder Ärzten kommen und Stephanie zudem noch nicht die Fähigkeit besitzt, einmal verständlich ihren Tagesablauf zusammenzufassen, bekommen wir seit der Umsiedlung leider nur noch sehr wenige Informationen mit. Auf der bisherigen Intensivstation war man ja zum Teil bei Therapien im Zimmer mit anwesend, hat sich beim Füttern durch die Logopädinnen nebenbei ausgetauscht oder auch auf dem Flur zufällig das ein oder andere Gespräch führen können. Solche Begegnungen sind jetzt sehr viel rarer geworden, zumal Stephanies Zimmer auf einem Seitenarm der Station liegt, von dem man nun direkt zum Ausgang gelangt. Wenn man sich also nicht gerade suchend durch die Stationsflure läuft oder das Pflegepersonal aktiv ins Zimmer kommt, werden uns diese Informationsgespräche sehr fehlen. Aktiv nachfragen will man ja nun auch nicht alle Nasen lang.

Wir werden sehen, auch wir müssen uns erst noch zurechtfinden. Aufgrund der Therapien außerhalb des Zimmers fallen schon mal unsere täglichen Vormittagsbesuche ganz raus. Zudem haben wir unsere anderen Besuche zuerst auf die Zeit nach dem Abendessen (ca. 18:30) verlegt, denn bis 16:00 hat sie in der Regel noch Therapien und wir eben unsere Arbeitszeiten. Damit fingen für uns aber alle Abende immer erst mit der Heimkehr gegen 21:00 an. Deshalb wollen wir es zukünftig mal mit einer anderen Variante versuchen: das Arbeitsende auf 15:30 festsetzen und die Besuche im Krankenhaus von ca. 16:00 bis zum Abendessen legen – damit hätten wir dann auch mal wieder die Abende ganz für uns und unsere Freizeit. Letzteres kam nämlich bislang etwas zu kurz, doch was tut man nicht alles fürs Kind.

Am Ende hat diese neue Zeiteinteilung eh nur bis zur nächsten Verlegung in eine Pflegeeinrichtung Bestand, denn diese wird dann voraussichtlich nicht mehr so schön in der Nähe liegen und statt 20 min Fahrt werden wir uns durchaus jeden Tag auf 40-50 min Fahrzeit in eine Richtung einstellen dürfen. Derzeit hat Stephanie durch die Krankenkasse eine Verlängerung bis zum Ende Juni erhalten … der Juli dürfte aber sicherlich auch noch möglich sein. Danach hängt es dann sehr stark davon ab, wie groß ihre Fortschritte sind und wie gut sich ihre Weiterent-wicklung gestaltet. Aber wir sehen diesen bevorstehenden Wechsel in die Pflegeeinrichtung schon sehr viel gelassener als noch im Mai, wo sie eben so viele Dinge noch nicht gut beherrschte. Man wird sehen …

Am Mittwoch haben wir ihr noch halb erfolgreich das eigenständige Hochschieben der Brille mit der rechten Hand beibringen können. Halbwegs deshalb, weil sie mit der Faust manchmal noch den Mittelsteg ihrer Brille verpasst und das dann aber selbst nicht so einschätzen kann – sehen schon gar nicht. Aber wir üben, üben, üben    🙂

Am Freitag nutzten wir einmal Karten mit A bis Z und sie sollte zuerst den willkürlich gezogenen Buchstaben vorlesen (hierbei kein einziger Fehler!) und in der ersten Runde etwas benennen, was man essen oder trinken kann. In der zweiten Runde suchten wir dann nach Vornamen. Hier taten sich bei dem Kind wie erwartet gewaltige Lücken auf, denn in der Regel nannte sie nur das, was sie auch in den letzten Monaten kennengelernt bzw. verwendet hat, wie z.B. Himbeere, Erdbeere, Yoghurt sowie Namen von der Familie und aus dem Krankenhaus-team. Andere Wörter, die sicherlich jeder von uns kennt (man erinnere sich nur an das Spiel Stadt-Land-Fluss), sind bestimmt noch sehr sehr tief in ihren Gehirnwindungen vergraben. Was ich daran so erstaunlich finde? Sie kennt englische Begriffe, versteht zum Teil Französisch, leider nur noch sehr wenig Russisch und stellt manchmal recht komplizierte Fragen, aber an die einfachsten Dinge, wie z.B. Anton, Dattel, Eis, Erbsen, Heinz, Klaus, Susi oder Zwiebel erinnert sie sich nicht oder kann sie in dem Augenblick jedenfalls nicht abrufen. Da bekommt für mich der deutsche Spruch „Einen Penny für deine Gedanken“ wieder eine ganz neue Bedeutung bzw. einen viel tieferen Sinn. Ach ja, keiner weiß so richtig, was genau da gerade in Stephanies Oberstübchen vor sich geht     🙁

Abends ist sie jetzt auch mal öfters mäkelig und schlapp, sie lässt den Kopf nach vorne hängen, spricht zunehmend undeutlicher und meckert dabei auch sehr viel über sich selbst. Am Wochenende habe ich nun den Grund dafür ausgemacht: im Bett konnte sie sich viel mehr ausruhen und vielleicht auch mal das ein oder andere Schläfchen machen, während sie nun durch den Rollstuhl-Bett-Mix sehr viel mehr aktiv gefordert ist – und dann sind da ja auch noch zusätzlich die täglichen Therapiegänge. Gestern und heute war ich schon um 13:00 bei ihr und alles war perfekt: sie war recht konzentriert, sie sprich sehr verständlich, sie macht viel mit und ist noch voller Elan. Aber nach ca. 2-3 Stunden folgt dann der sichtbare Einbruch, denn die Fehler beim Rechnen und Spielen sowie den Lücken in ihren Erinnerungen nehmen zu, sie spricht zunehmend undeutlicher und auch die Präzision ihrer Bewegungen lässt nach. Hier merkt man wieder deutlich, wie sehr ihr Kreislauf und auch die Kondition aller Muskelgruppen durch das monatelange Liegen und die Sedierung in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Aber wir kennen ja alle unsere Stephanie: sie lässt nicht locker und von Tag zu Tag wird sie sich auch selbst mehr und mehr aufpäppeln. Dafür drücken wir ihr jedenfalls alle die Daumen, gell?

Dieser Blog und eure Rückmeldungen geben ihr zusätzliche Kraft, denn sie ist über alles informiert und ich lese ihr seit Kurzem auch immer wieder mal meine Blogeinträge vor. Es gefällt ihr alles sehr!

Sie möchte inzwischen zudem immer mehr Zusammenhänge verstehen und fragt, warum sie hier im Krankenhaus ist oder wie lange sie da noch bleiben muss. Ich habe ihr die eigene Geschichte in kurzer Zusammenfassung schon einige Male erzählt – ist ein bisschen wie bei Dorie. Immerhin konnte sie ihr Wissen darüber heute schon bei dem A-bis-Z-Spiel einsetzen, bei dem wir uns geeinigt haben, einfach mal alle möglichen Vokabeln zu nennen, welche uns so in den Sinn kommen und eben mit dem gezogenen Buchstaben beginnen. Beim L kam von Stephanie unter anderem auch das Wort Lungenembolie über die Lippen. Aber zum Glück ist ihr Wortschatz noch nicht zu sehr mit Krankenhausvokabular „belastet“, denn da war auch noch genug Platz für Himmel, Wind, Qualle und Leben …



2021 06.
Jun

Mein Zitat aus dem Blogeintrag von letzter Woche:

Ich schätze mal (vorsichtig), dass sie ihre rechte Hand in vier Wochen wieder vollumfänglich einsetzen kann … auf der linken Seite macht ihr allerdings noch die Spastik sehr zu schaffen. Hier wird es wohl noch sehr viel länger dauern.

Öhm, naja, die linke Hand ist sicherlich noch nicht in der Lage, all das zu machen, was die rechte jetzt schon kann, aber in nur wenigen Tagen konnten wir sie quasi aus ihrem Dornröschenschlaf erwecken, mehr Fingerbewegung erreichen und sie mittlerweile sogar schon Dinge aufnehmen und woanders wieder ablegen lassen. Doch was hat den Knoten so schnell gelöst? Wir glauben, dass sie durch das krampfhafte Ballen mit den Fingernägeln in die Handinnenfläche gedrückt hat … und zwar so lange, bis dort eine wunde Stelle entstanden ist. Die hat natürlich bei jeder Berührung weh getan und in der Folge hat Stephanie verständlicherweise noch mehr vor Schmerz die Hand geballt und die Finger verkrampft bzw. die Fingernägel in die Wunde gedrückt. Eine so offene Hand wie auf dem folgenden Foto war zu der Zeit einfach nicht möglich, denn man kam mit mal mit einem einzigen Finger auch nur annähernd in ihre Faust:

An diese Stelle ließ sie schlichtweg niemanden ran und somit blieb die eigentlich Ursache so lange unentdeckt und die Überempfindlichkeit der linken Hand wurde logischerweise der Spastik zugesprochen. Am Mittwoch bat sie uns dann völlig unvermittelt, ihr einmal die Fingernägel zu schneiden und sie hat dafür sogar ganz freiwillig die Hand aufgemacht und so weit es ging die Finger ausgestreckt. Dabei wurde die besagte Wunde entdeckt, konnte fortan mit einer Wund- & Heilsalbe behandelt werden und als Schutz vor nun gekürzten, aber natürlich immer noch harten Fingernägeln ließ sie sich sogar bereitwillig einen Handschuh anziehen. Und ab genau diesem Tag setzt sie ihre linke Hand für immer mehr Dinge ein, wie z.B. Greifen und Essen.

So z.B. seit Mittwoch eben auch für das Spiel und Training mit einer Kinderspielbox:

Das Einführen der Klötze durch die entsprechende Öffnung ist zwar noch etwas zu schwer für sie (sie kann einen Gegenstand noch nicht halten und koordiniert in der Hand drehen), aber alle Klötze aufsammeln und in die offene Kiste zurücklegen klappte von Anfang an bzw. ist mittlerweile auch recht flott erledigt.

Wir erinnern uns an unser Mantra „Schrittchen-für-Schrittchen“? Mit diesem einen, kontinuierlich zu verwendenden Spielzeug erzielen wir gerade hintereinander weg mehrere Effekte und Fortschritte:

  • Training, sich visuell einen Überblick zu verschaffen … wo steht die Box und wo überall liegen die Klötze.
  • Training der Hand- und Armkoordination … und zwar sowohl rechts als mittlerweile auch mit der linken Hand

  • Erkennen von Farben (hier: Rot/Orange, Grün, Gelb, Blau) … wobei sie an manchen Besuchen alle Farben korrekt bezeichnet, an anderen aber auch immer wieder gehörig falsch liegt – mal so mal so, was aber noch nicht beunruhigend ist. Dass die Augen in Ordnung sind und sie die richtigen Farben sehen kann, beweist sie, wenn sie alle Farben korrekt benennt. Hier spielt eben wieder der gravierende Umstand zwischen dem Sehen mit den Augen und das Verarbeiten des Gesehenen mit dem Gehirn eine große Rolle.
  • Erkennen von Formen (hier: Viereck, Dreieck, Kreis/rund, Stern) … sie zählte beim Zeigen die Ecken und erkannte jede Form auf Anhieb (bislang weiterhin jedes Mal fehlerfrei). Jetzt bekommt sie also von uns die Aufgabe, einmal alle Klötze mit der Form X oder der Farbe Y zurück in die Box zu legen.

  • Vielleicht entwickelt sich dann bald ja auch wieder das Verständnis bei ihr, sich mit beiden Händen gegenseitig zu helfen (liegt das Klötzchen weiter weg, kann man es mit der einen Hand holen und der anderen Hand übergeben, die wiederum näher an der Kiste ist) oder auch mal mehrere gleichzeitig aufzunehmen, um am Ende noch schneller zu werden … nach und nach kommen die Tipps von uns verbal oder die Übungsumgebung wird entsprechend angepasst.

Seit gestern kann sie jetzt auch noch weitere Orientierungs-, Reaktions-, Koordinations- sowie Hand- und Armübungen mit einem Galgen am Krankenbett und unseren (hoffentlich pädagogisch und medizinisch sinnvollen) Einfällen durchführen. Den Anfang machen derzeit ein Ball am Gummiband …

… und ein Thera-Band:

Wer uns kennt, weiß, dass unserer Fantasie keine Grenzen gesetzt sind, gell    😉 ? Sie hat jedenfalls ihren Spaß dabei und wir schätzen mal, dass sie es evtl. auch nutzt, wenn wir nicht da sind und sie explizit dazu auffordern.

Auch dies ein Beispiel für unsere kruden Einfälle: Stephanie kann beim Ausführen von Anweisungen nicht immer ganz korrekt zwischen links und rechts unterscheiden. Also haben wir den jeweiligen Armen nicht nur einen einprägsamen Namen gegeben, sondern diesen auch gleich noch lesbar für sie vermerkt:

Wir haben uns dann alle drei so sehr über die Namen lustig gemacht und bei den Übungen zahlreiche Tränen gelacht („Heb‘ mal Rechti und berühre damit Linki …“), dass sie das jetzt bestimmt nicht mehr so schnell vergessen wird. Inzwischen nennt sie ihre Armen sogar selber so im Gespräch mit anderen    🙂

Wir sind echt gespannt, wann sie mit den Händen wieder komplexere Dinge ausführen kann, z.B. etwas von der einen in die andere Hand geben, mit Links auch etwas Kleines aufheben, mit den Händen eigenständig die Brille hochschieben, sich selbst Tränen (vor Lachen!!!) aus den Augen wischen, in die Hände klatschen, ein eBook oder Tablet bedienen u.v.m. … weit ist sie sicherlich nicht mehr davon entfernt.

Und ursprünglich haben wir die Fingerfertigkeiten zuerst mit dem Essen kombiniert. Im letzten Blogeintrag habe ich euch ja die Anordnung von Käsestange, Gurke und Würstchen auf dem Tablett vor ihr gezeigt und sie musste erst sagen, was sie als nächstes essen wollte, dann danach greifen und es anschließend zum Mund führen, um dort abzubeißen. So war es also bis Montag:

Aber dann haben wir von Tag zu Tag immer mehr Feinheiten eingebaut:

  • es nach dem Abbeißen irgendwie wieder auf das Tablett zurücklegen (hier musste sie ja nur eine große Fläche treffen)
  • sich das letzte Stück selbst in den Mund legen (ist vorher noch durch uns passiert, da die Fingerhaltung dafür unzureichend war)
  • Aufnehmen und Ablegen von einem Tellerchen (jetzt also schon eine kleinere Fläche treffen)

  • kleinere Dinge (Erdbeeren, Himbeeren) direkt in den Mund legen und gar nicht abbeißen … und es vor allem nicht schon mit den Fingern zerquetschen

Unserer Einschätzung nach könnte sie jetzt eigentlich schon ganz allein und ohne Beaufsichtigung mit den Fingern (also keine Verwendung von Besteck) essen, aber da das Trinken (wichtig bei trockenem Mund, Schluckhilfe etc.) leider noch nicht autark funktioniert, muss derzeit immer jemand bei ihr bleiben und helfen:

Aber sie ist definitiv auf einem guten Weg, auch wenn manchmal noch Dinge zu überwinden sind, über die man sich selbst eigentlich nie Gedanken gemacht hat bzw. die für uns nur sehr schwer nachzuvollziehen sind. Hier zwei Beispiele aus den letzten Tagen:

Anfangs haben wir ihr ja beigebracht, dass man alles in kleinen Portionen in den Mund nimmt. Aufgrund ihrer noch fehlenden Feinmotorik kann man ihr aber nur „große“ Dinge in die Hand geben, d.h. sie muss abbeißen. Als Nachtisch gab es dann die oben erwähnten Erdbeeren und hier legten wir jetzt Wert auf „mit einem Haps in den Mund“. Lief am Abend auch alles perfekt. Am nächsten Tag bekam sie wieder ihr Würstchen und sie legte los: lokalisieren, greifen, zum Mund führen, abbeißen, nachschieben, abbeißen, nachschieben, abbeißen und im Ganzen rein damit. Wir konnten gar nicht so schnell reagieren, wie sie die ersten drei Bissen schon im Mund hatte – jep, sie lernte zuletzt eben das „komplett in den Mund stecken“ …

Beispiel 2: Wenn der Blick nach dem Greifen vom Teller nicht auf der Hand verbleibt, z.B. guckt sie zu jemanden neben dem Bett, kann sie ihren Arm nicht in Richtung Mund steuern, d.h. er verharrt zunächst in der Luft oder sie will alles wieder auf den Teller ablegen. Erst wenn sie mit ihrem Blick ihre Hand sieht bzw. diese auch fokussiert, nur dann schafft sie die Bewegung zum und in den Mund. Eigentlich schwer nachzuvollziehen, denn wir können mit geschlossenen Augen schließlich alles blind zum Mund führen. Das muss sie halt erst wieder erlernen und verinnerlichen …

OK, genug vom Essen und den Armen bzw. Händen. Was macht denn nun eigentlich der Rest?

Sie redet zwar oft noch undeutlich und zum Teil total unverständlich (dies lässt sich dann erst nach mehrmaligem Nachfragen und detektivischer Kleinstarbeit dechiffrieren), aber dafür immer mehr in komplexen Sätzen.

Oder sie fragt einem Löcher in den Bauch … das sind dann mitunter Fragen, die man ihr so sicherlich nicht beigebracht hat, z.B. wie das schon mal erwähnte „Wie alt warst du als du schwanger warst?“.

Sie hört auch gut zu und ordnet es ggf. Sprachen zu: im Radio läuft nebenbei Namikas „Je ne parle pas français“ und sie sagt „Das ist Französisch.“ … ich hake nach und frage sie, ob sie denn auch weiß was das heißt … „Ja, ich verstehe kein Französisch.“.

Oder das hier: auf dem Flur wird sie von einem Zyprioten mit „Hello, how are you?“ begrüßt und sie antwortet ganz selbstverständlich und vor allem freundlich „Hello, thank you. I’m fine.“ – da ist man erst mal baff!

Aber vor allem ist es eben nicht nur ein stumpfes Nachplappern, denn zu ein und demselben Thema hat sie mit großem zeitlichen Abstand auch mal zwei verschiedene Aussagen gemacht, die aber dennoch beide den gleichen Sinn haben. Auf die Frage von uns, warum sie SpongeBob nicht gucken will, hat sie abends mit „Ich bin zu alt!“ geantwortet und am nächsten Tag vormittags zu einem Pfleger „Ich bin kein Kind mehr!“ gesagt.

Auch hier eben wieder das, was auch das Krankenhauspersonal immer betont: die vormals geschaffenen Wege im Gehirn sind zerstört, aber die Ziele (also das Wissen) sind größtenteils noch da. Sie muss jetzt erst einmal wieder Wege anlegen, stabile Brücken bauen, Sackgassen erkennen und vor allem Routinen entwickeln. Insgesamt ist es echt erstaunlich, was nach den uns gezeigten MRTs mit den großen weißen Arealen doch noch so alles in ihrem Gedächtnis verblieben ist – aber eben leider auch, was alles rausgefallen ist. Bei ihrer derzeitigen Unordnung da oben paart sich gerade der Wissensstand einer 25-Jährigen mit dem eines Kleinkindes … man ist überrascht, was sie nicht kennt (ein Puma muss ihr erst erklärt werden und manchmal macht die Katze bei ihr Wauwau und der Hund Miau) und was sie doch noch von früher her kennt (Lambada = Tanz, Domino = Spiel, Kakadu = Vogel). Ich bin allerdings sehr traurig, dass anscheinend vom Russischen leider nicht so viel hängen geblieben ist, wie vom Englischen und Französischen    😉

Anderseits sind wir froh, dass sie inzwischen so gut in Deutsch unterwegs ist, dass sie durch mich sogar zwei kurze Videos als Antworten auf Videobotschaften von Freundinnen aufgenommen hat!

Sehr viele Erinnerungen sind ihr wohl auch bei ihrem immer wieder als Übung geäußerten Wunschthema Mathe geblieben – derzeit trainieren wird im Zahlenraum bis 10, z.T. auch schon bis 20. Am letzten Sonntag löste sie mal eben 54 Plus- und 40 Minusaufgaben mit einer recht geringen Fehlerquote. Am Montag verrechnete sie sich erst bei Aufgabe 29 von insgesamt 40 Plusaufgaben (Fehlerquote ca. 10%). Am Dienstag möchte sie schon Mulitiplizieren und macht ca. 15% Fehler. Und vor allem schmunzelt sie immer wieder bei Aufgaben mit Null (Plus/Minus) und Eins (Mal/Durch) – too easy! Noch am gleichen Tag verlangte sie Divisionsaufgaben, bei denen sie diesmal zwar immer etwas länger überlegen musste, aber trotzdem nannte sie recht oft die richtige Lösung.
Wohl gemerkt: das Prinzip des Rechnens (Mengenleere & Co.) hat ihr jetzt eigentlich niemand beigebracht, das schlummert da im Oberstübchen rum und wartet nur auf seine Reaktivierung. Andererseits hadert sie derzeit mit Würfelsummen, da dies wiederum für sie noch zu komplex zu sein scheint. Die Augen eines einzelnen Würfels kann sie ablesen, aber sobald es um die Summe von zwei Würfeln geht, weiß sie anscheinend nicht, wie sie da vorgehen muss …

Vor allem kann sie auch immer nur eine Aufgabe gleichzeitig erledigen, denn alles andere überfordert sie. Essen bzw. Kauen und mit Linki den orangen Würfel greifen bekommt sie noch nicht hin. Aber wie sagte sie es selbst einmal in dieser Woche:“Tschacka, ich schaffe das!“ – dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

Nächste Woche steht für sie ein kleiner Umzug an, aber nur von der Intensivstation (sie braucht ja auch eigentlich keine Geräteüberwachung mehr) auf die Reha- & Therapiestation – sie bleibt sogar auf dem gleichen Flur. Aber das Personal ist ein anderes, der Tagesablauf wird sich gravierend ändern, das Zimmer wird aller Voraussicht nach nicht mehr ihr zentrales Aufenthaltsumfeld sein, sie wird wahrscheinlich viel mehr mit dem Rollstuhl zu tun haben, sie wird mit anderen in einem Essensraum speisen usw. … es dürfte echt spannend werden! Wir hoffen, dass unsere Kleine mit ihrem uns allen sehr gut bekannten und nun auch wiedergefundenen Charme in der neuen Umgebung ebenfalls einen guten Eindruck hinterlassen wird    🙂

Hoffentlich wird meine nächste Wochenzusammenfassung dann nicht wieder so ein Roman wie heute werden – ich möchte mich dafür an dieser Stelle vielmals entschuldigen. Es passiert in sieben Tagen einfach zu viel Interessantes …