Home     I     Olgas Welt

     
 
 
   

 
Kommentar:   

 
Manchmal hat man eben Lust darauf, etwas zu schreiben   ;0)

 
Web|log,  der;  -s,  <engl.>,  meist abgekürzt mit "Blog"
   
Digitales Tagebuch im Internet. Ein Weblog ist eine Webseite, die periodisch neue Einträge enthält. Es ist ein Medium zur Darstellung des eigenen Lebens und von Meinungen zu oftmals spezifischen Themengruppen. Weiter vertieft kann es auch sowohl dem Austausch von Informationen, Gedanken und Erfahrung als auch der Kommunikation dienen und ist insofern mit dem Internetforum sehr verwandt. Die Tätigkeit des Schreibens in einem Blog wird als "bloggen" bezeichnet.

Quelle: http://www.wikipedia.de    


 
2021 12.
Sep.

Und wieder ist eine Woche vorbei – gefühlt diesmal sogar noch schneller als sonst. Das könnte sicherlich aber auch daran liegen, dass es unsere letzte Urlaubswoche war und wir morgen schon wieder im allgemeinen Arbeitsalltag stehen werden. Geht euch doch bestimmt auch so, dass die letzte Woche einer Reise oder eines Urlaubs immer besonders flink an einem vorbeirast, oder nicht?

Doch beim Zurückblicken und Recherchieren für diesen Blogeintrag realisierte ich, was wir in der gefühlt kurzen Zeit dennoch alles unternommen und geschafft haben. Wir nutzten das schöne Wetter jedenfalls voll aus und machten u.a. zwei Tagestouren in die Lüneburger Heide (zum Serengeti-Park Hodenhagen und Weltvogelpark Walsrode) mit anschließendem Umweg zu Stephanie auf dem Rückweg und haben unter den strengen Blicken unseres Kindes ein neues Möbelstück für ihr Zimmer aufgebaut. Dann unternahmen wir nebenbei noch einen Abstecher zum Russenladen in Hamburg-Bergedorf und zum Baumarkt, haben den Smartie zusammen mit dem ADAC wieder ans Laufen gebracht und jetzt am Wochenende konnten wir endlich zahlreiche Formulare ausfüllen, die aufgrund von Stephanies Umzug von Geesthacht in Schleswig-Holstein (Krankenhaus) nach Lüneburg in Niedersachsen (Pflegezentrum) auf unseren Tisch flatterten. Dank des leiblichen Vaters und seiner Frau hatten wir am Samstag und Sonntag nämlich besuchsfrei, da sie extra für diese beiden Tage aus Sachsen zu ihr gekommen sind.

Versteht mich nicht falsch, ich besuche Stephanie immer liebend gerne, aber insbesondere die Fahrerei von ca. zwei Stunden für das Hin und Zurück raubt schon sehr viel Zeit von einem ohnehin schon gefühlt viel zu kurzen Tag. Und da ab nächste Woche unsere Arbeitgeber berechtigterweise wieder ihre vertraglich zugesicherten 40-Stunden-Wochen einfordern, startet zudem das Agreement mit dem Kind, jetzt nur noch am Dienstag, Donnerstag und am Wochenende zu Besuch zu kommen – dafür aber dann bestimmt auch mal ein Stündchen länger als bisher. Das bringt ebenfalls sicher wieder etwas mehr Ruhe in unseren Alltag …

Genug über mich bzw. uns geschrieben, wechseln wir einmal zu Stephanies Fortschritten oder auch zu ihren Problemchen – hier ist nämlich auch schon wieder viel passiert.

Beginnen wir mit dem Essen. Dort geht es bei ihr weiter stetig voran, denn sie bekommt für ihr Brot nun Scheibenkäse und -wurst, morgens dürfen es mittlerweile auch schon weiche Milchbrötchen sein und beim Trinken wird sehr viel weniger angedickt. Zusätzlich haben wir ihr versprochen, an jedem unserer Besuchstage einen für sie „neuen“ Geschmack mitzubringen – natürlich unter Einhaltung jeglicher Ess- und Trinkbeschränkungen. Wir starteten am Montag auf ihren eigenen Wunsch hin mit einer halben Flasche Dunkelbier/Malzbier/Kinderbier (das hat sie früher geliebt und trinkt es auch immer noch gerne), am Dienstag gab es inklusive Anstoßen mit mir ein kleines Glas alkoholfreies Bier (auch dieser Geschmack bleibt weiterhin positiv für sie) und am Donnerstag servierten wir ihr ein kleines Potpourri von McDonalds …

… bei dem für sie ein Nugget mit süß-sauer Soße, ein kleiner Bissen vom Hamburger, ein kleines Stück vom Veggi-Burger-Patty und drei Bissen Hähnchenfilets ohne knusprige Panade aber mit süß-sauer Soße abfiel. Leider haben wir von ihrem seligen Gesicht kein Foto gemacht, aber ihr könnte mir glauben, sie genoss wirklich jeden einzelnen Bissen!!!
Bei ihr braucht man auch nicht zu sagen, dass sie jeden Bissen 32 mal kauen soll … sie bringt es locker auf 60 mal und mehr    😉    und selbst bei solchen Dingen, wie das hier, kaut sie wie eine Besessene:

Dabei waren die am Freitag verkosteten Pflaumen- und Zwetschgenstücke bereits butterweich, ohne Kern und ohne Haut. Aber wir kennen das ja von uns selbst: beim Kauen setzen sich noch viel mehr Geschmacksmoleküle frei. Stephanie liebte bislang jede kulinarische Köstlichkeit, die wir ihr vorsetzten. Noch geben wir ihr auch ausschließlich nur ihre Lieblingsdinge, aber es werden sicherlich bald auch mal Mitbringsel für ein „so lala“ oder „bäh pfui“ mit dabei sein. Schließlich wollen wir mit ihr ja noch richtig viel ausprobieren    🙂

Und unsere Raupe Nimmersatt möchte sowieso ständig essen. Erst heute haben wir erfahren, dass sie noch einmal zwei Schnitten zum Frühstück ausgehändigt bekam, weil Stephanie der Meinung war, dass sie noch nicht gefrühstückt hätte. Im Nachhinein stellte sich aber heraus, dass das nicht so ganz stimmte und sie dennoch hungrig war oder Lust auf mehr hatte. Für die erste Hälfte ihres Tellers reichte es zwar noch, aber dann war sie satt und wollte doch nicht mehr alles aufessen …

Wechseln wir mal vom Essen zum Lernen. Grundlegend können wir dem, was wir letzte Woche im Therapeutengespräch zu hören bekamen, nur voll zustimmen: sie lässt sich allzu gerne ablenken – besonders beim Neulernen oder Trainieren. Wenn wir jetzt mit ihr unter unseren Lieblingspavillon gehen, entscheiden wir anhand der geplanten Übungen, ob wir sie und den Rolli mit dem Blick in Richtung einer leeren Wiese oder doch lieber in Richtung des mitunter lebhaften Innenhofes positionieren. Bei unseren Aktivitäten guckt sie nämlich auch immer wieder mal gerne in der Weltgeschichte herum und interessiert sich für jeden Gesprächsfetzen oder jedes Umgebungsgeräusch, was bei Trainings und Übungen natürlich mehr als hinderlich ist. Also machen wir es von ihrer Lust und Laune sowie von unseren Intentionen abhängig – was bislang recht gut klappt.

Die Themen der heutigen Woche reichten vom Russisch …

(Da diese kyrillischen Buchstaben auch genau so im lateinischen Alphabet vorkommen, würde man sicherlich eher an das Silbendurcheinander „CA-PO-TA“ denken, aber Stephanie liegt mit ihren Antworten schon richtig und lacht sich eher über „SA-RO-TA“ kaputt. Carstens Lieblingsbeispiel bleibt in diesem Zusammenhang „CCCP“, was aber eigentlich SSSR ausgesprochen wird Sojus Sowetskich Sozialistitscheskich Respublik.)

… über die Bedienung eines Tablets …

(Das Tippen, Ziehen und Schaltflächen suchen bzw. immer nur mit der Fingerkuppe und nicht dem Fingernagel oder gar mehreren Fingern bedienen klappt schon recht gut.)

… das Aufschlagen eines Buches, das Umblättern von Seiten und auch das Lesen von Texten …

(Aufschlagen klappt, beim Blättern erwischt sie mitunter noch mehr als eine Seite und beim Lesen reicht die Übersicht gerade mal für 2-3 Zeilen, danach verliert sie etwas die Orientierung.)

… die Gesamtprozedur für eine Briefwahl …

(Sie wollte zunächst noch alles alleine machen und somit im Geheimen wählen, aber spätestens nach „du nimmst den Wahlzettel und setzt zwei Kreuze an die richtigen Stellen“ entschloss sie sich dann doch zu einer gemeinsamen Erledigung der zugeschickten Wahlunterlagen.)

… das Lesen einer Zeitung …

(Sie wollte eine Zeitung zum Lesen haben – bekam sie. Aber dann fragte sie „Wie geht das ?“ – wir zeigten es ihr und sie verzichtete lieber mit den Worten „zu kompliziert“.)

… bis hin zum Öffnen und Lesen eines Briefes.

(Schon beim ersten Schritt, den Inhalt aus dem Umschlag zu bekommen, zeigten sich wieder sehr deutlich ihre Defizite im strategischen und logischen Umgang mit Dingen bzw. für das Erkennen einer Lösungsstrategie. Selbst beim Vorlesen versuchte sie eher die Worte hinter Carstens Positionszeigers (Finger oder Stift) zu lesen, statt die deutlich erkennbarer am Ende des Zeigers … leider ist sie damit noch lange nicht bereit, eigenhändig Post zu empfangen und selbst zu lesen – schade.)

Zudem versuchten wir es mal bei ihr mit dem Legen von ganz trivialen Puzzles:

Den Anfang machte ein 6-teiliges Puzzle, doch auch hier leider nur mit sehr wenig Erfolg. Stephanie fehlt bislang jegliches Verständnis für das Zusammenlegen von mit Nasen und Buchten ineinandergreifenden Pappkärtchen, wobei da auch leider das Motiv keine große Hilfe für sie zu bieten scheint. Zudem kann sie Ecken- und Seitenteile nicht auseinanderhalten bzw. bestimmen und sie kann die geraden Seiten an einem Puzzleteil nicht richtig einschätzen. Das erste Puzzle haben wir für sie zusammengelegt und viel dazu erklärt, in der Hoffnung, dass etwas hängen bleibt. Fehlanzeige! Auch als wir ihr mündlich eine Anleitung zum Zusammenlegen gaben, schaffte sie nicht, Nasen und Buchten zusammenzustecken. Selbst als nur ein einziges Eckteil fehlte und sie dieses schon richtig gedreht in der Hand hielt, kam für sie nicht der gewünschte Aha-Effekt. Wir haben nach vielen Fehlversuchen abgebrochen, denn egal mit welchen Engelszungen wir auf sie einredeten, wir fanden einfach kein Mittel, ihr das allgemeine Prinzip zu verdeutlichen. Vor Ende nächster Woche starten wir sicherlich keinen zweiten Versuch.

Da sie mit dem iPad schon recht gute Fortschritte zeigte, versuchte Carsten es mal mit einer Puzzle-App für Kleinkinder, bei dem ein vorgeschlagenes Teil (i.d.R. oben rechts angezeigt) nur an die richtige Stelle des Bildes gezogen und losgelassen werden muss. Dabei stehen dem Nutzer nur drei entsprechend geformte Löcher im Bild zur Verfügung, die sich deutlich durch eine Holzmaserung oder eine schwarze Fläche hervorhebt:

Zudem ist dieses Puzzleteil eben nicht klassisch mit Nasen und Buchten geformt, sondern die Lochumrisse zeigen zum Teil ganze Figuren, Wolken, Reifen, Kotflügel oder Häuser. Und am Ende kann man mit dem Bild dann auch noch etwas spielen (Hupen, Motor aufheulen lassen, Tag/Nacht, Blaulicht usw.). Leider gestaltete sich auch dieser Weg lang und steinig und wir waren nach den ersten Minuten der Verzweiflung nahe, aber dann hat sie zum Glück doch noch etwas mehr den Draht dazu gefunden. Anfangs waren für sie große, einfarbige Flächen des Bildes sehr viel schöner als der eigentliche Ablageort für das Puzzleteil mit seiner Maserung oder der dunklen Fläche. Doch da macht eben das Spiel nicht wirklich mit und das zu steckende Objekt schnippte wieder zurück in die rechte, obere Ecke. Bei unseren mündlichen Dirigierversuchen hatte sie zudem wieder ihre Probleme mit oben, unten, rechts und links … in der Trockentheorie (Finger in der Luft) klappte es einwandfrei, aber sobald das iPad mit ins Spiel kam, war ihr Ziehen nach links eher ein „schräg unten“ und „rechts oben“ – das hat aber sicherlich auch etwas mit der Konzentration und den vermehrten Reizen zwischen Vorübung und iPad-Nutzung zu tun. Und wenn man alternativ ihre Hand führen wollte, verkrampfte sie total auf die von ihr ausgewählte Stelle und der Finger ist vor lauter Drücken fast schon „abgebrochen“.

Mit viel Geduld und Spucke haben wir dann aber doch noch drei verschiedene App-Puzzles geschafft und wie wollen mal sehen, wie sie sich nun beim nächsten Mal Anfang kommender Woche schlägt. Schrittchen für Schrittchen … wir werden geduldig sein, aber dennoch nicht so schnell aufgeben, versprochen. Erst wenn die App-Puzzles besser sitzen, holen wir wahrscheinlich wieder mal das analoge Pendant mit seinen Nasen und Buchten raus.

Besonders am Ende eines fertiggestellten App-Bildes, also beim belohnenden Spielen, zeigte sich wieder ein deutlicher Unterschied zwischen dem Verhalten einer 25-Jährigen (ihr Wissen, die Sprachen, die Erinnerungen, der Wortschatz) und dem einer 3-Jährigen (ein leichter Anlass reicht zu Freude und Spaß). Sie freute sich über die Show auf dem Bildschirm und lachte wie ein Kleinkind über ihr selbst erzeugtes Hupen, geräuschvolles Anfahren, den Wechsel zwischen Tag und Nacht sowie über das Bedienen von Blaulicht & Co..

Gar nicht wie ein Kleinkind verhielt sie sich dagegen bei den Diskussionen über das Ablegen der Orthesen. Denn wenn es nach ihr ginge, würde sie sie lieber 24 Stunden lang tragen und erhofft sich dadurch eine schnellere Korrektur, als sie immer wieder mal abzulegen. Stellten wir bei ihr zunehmend Krämpfe oder Unruhe fest, wollten wir ihr die Orthesen nach dem ausreichenden Tragen (mindestens 2-3 Stunden) lieber abnehmen – das wollte sie auf keinen Fall. Zum Glück kam einmal gerade bei einem solchen Disput ihre Ergotherapeutin vorbei und machte mit ihr folgenden Deal: die Orthesen werden für 30 min ausgezogen und wenn ihre Muskeln danach noch krampfen sollten, bekommt sie sie wieder angezogen … bleiben die Krämpfe aber aus, wäre das nächste Anlegen erst wieder am nächsten Morgen. Natürlich krampfte sie fortan nicht mehr und sie hielt sich auch brav an die Abmachung mit der Therapeutin.

Gegenüber Therapeuten zeigt sie sich ohnehin stets folgsam und ehrgeizig, denn sie weiß, dass deren Übungen zu ihrem gewünschten Endziel führen. So hängt sie sich derzeit auch beim Standing (relativ alleine mit durchgedrückten Knien auf ihren Beinen stehen und der Körper wird nur noch mittels Haltebändern einer Maschine unterstützt) sehr rein und gibt vor allem nicht auf. Wo ihr Kreislauf Anfang der Woche noch gestreikt hat und sie nach einer Viertelstunde recht blass geworden ist, schaffte sie am Donnerstag schon wieder ihre 30 min komplett und der Kreislauf spielte wieder sehr gut mit. Sowas sind dann natürlich immer ihre größten Erfolgserlebnisse des Tages!

Am Montag wurde es frei Haus geliefert, am Dienstag wurde es von Carsten an „unserem“ Pavillon innerhalb von ca. 3 Stunden aufgebaut: ein Kallax-Regal mit neun Einschüben, damit Stephanies Dinge etwas benutzerfreundlicher verstaut werden können, als bislang alles nur im Kleiderschrank.

Nun können wir endlich zwischen Kleidung und Non-Kleidung trennen, denn die ganzen Spiele, Trainingsgeräte und sonstiger Schnulli kann ab sofort in diesem Regal untergebracht werden – Stephanie gefällt’s:

Zum Abschluss möchte ich noch eine für mich überraschend ausgegangene Übung beschreiben. Als Schulkind musste Stephanie einmal das Gedicht „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ von Theodor Fontane auswendig lernen und bei vielen Gelegenheiten (z.B. im Auto) haben wir immer wieder mal aus Spaß ein paar Zeilen (insbesondere die erste Strophe) rezitiert. Ich wollte diese Woche testen, ob davon immer noch etwas hängen geblieben ist. Also habe ich das Gedicht ausgedruckt und nach Absprache mit ihr für sie vorgelesen. Dabei kam dann folgendes raus:

  • Ich: „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“
  • Sie: „Ein Birnbaum in seinem Garten stand“

Wow, ich war begeistert!!! OK, diese Textsicherheit war aber wirklich auch nur bei der ersten Strophe so toll …

  • Ich: „Da sagte von Ribbeck: Ich scheide nun ab. Legt mir eine Birne mit ins …“
  • Sie: „Grab“

Immerhin …

  • Ich: „Aber der Alte, vorahnend schon und voll Mißtraun gegen den eigenen …“
  • Sie: „Sohn“

Einzelne Passagen saßen also weiterhin abrufbar im Hinterkopf …

  • Ich: „Und die Jahre gingen wohl auf und ab, Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem …“
  • Sie: “ Grab“

Hat sie das am Sinn oder an der Reimform erkannt oder sogar aus den Erinnerungen herausgeholt ? Egal …

  • Ich: „So spendet Segen noch immer die Hand des von …“
  • Sie: „Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“

Glaubt mir, ich war perplex und hatte kleine Tränchen im Auge. Klar, es war sicherlich keine Glanzleistung, die in der Schule eine gute Note herbeigeführt hätte, aber nach all den oben aufgeführten Problemen bei den für uns einfachsten Dingen (Brief, iPad, Lesen, Puzzle etc.) finde ich, dass es doch ein recht ansehnliches Ergebnis für mein Experiment war, oder?

Wir arbeiten weiter an ihrem Erinnerungsvermögen, an ihren Fingerfertigkeiten und vor allem an den vielen alltäglichen Dingen, die sie erst noch wieder neu erlernen muss. Drückt uns bitte auch zukünftig ganz fest die Daumen, dass sie es schafft, dass wir durchhalten werden und dass wir vor allem unsere Geduld nicht obgleich der Erfolge verlieren mögen. Wir ertappen uns nämlich immer wieder dabei, dass wir für uns normale Dinge auch bei ihr irgendwie als gegeben voraussetzen … zum Glück sind wir zu zweit und haben auf jeder Fahrt hin oder zurück bis zu einer Stunde Zeit, unsere Eindrücke, Wünsche und Erwartungen auszudiskutieren. Das erdet manchmal ungemein    🙂



2021 08.
Aug.

Einerseits haben Carsten und ich uns diese Woche an zwei Tagen (MO & MI) etwas schuldig gefühlt, da wir zum allerersten Mal nicht zu Stephanie gefahren sind, obwohl wir eigentlich zuhause waren. Doch ein Besuch nach meinem Spätdienst (Feierabend erst 17:00) macht bei einer Fahrerei von insgesamt ca. zwei Stunden keinen Sinn, wenn man letztendlich noch etwas vom Besuch und evtl. auch ein wenig vom Feierabend haben möchte. Die Vernunft und erfreulicherweise auch Stephanie selbst haben uns in dieser Einschätzung bestärkt, aber ein klitzekleines Gefühl von Verrat rumorte dennoch den gesamten Abend irgendwie in unseren Köpfen herum. Dafür haben wir die Zeit dann wenigstens sinnvoll für das Durchlesen und Ausfüllen des Sozialhilfeantrags „Hilfe zur Pflege“ genutzt … so viele Formulare hatten wir wahrlich schon lange nicht mehr zu beackern!

Andererseits zeigt sich zum Glück immer mehr, dass Stephanie in ihrer neuen Umgebung angekommen ist und schon jetzt sehr viel Spaß dort hat. Von Tag zu Tag wurde ihre Laune nämlich besser und sie konnte sich sogar an gewisse Unternehmungen während des Tages erinnern sowie davon berichten. Zum Beispiel von ihren Lese-runden, wo Bewohner zusammentreffen und sich aus Zeitungen über die Nachrichten oder das Horoskop austau-schen, von ihren ersten Therapiesitzungen (Physio & Ergo) und sogar von ihrer Enttäuschung, dass sie einmal beim Kaffeeklatsch keine Kekse bekommen hat, weil diese vom Arzt oder den Therapeuten leider noch nicht freigegeben worden ist. Ob positiv oder negativ ist egal, aber wenn sie von so etwas berichten kann, dann nimmt ihr Kurzzeitge-dächtnis so langsam wieder Fahrt auf – hallelujah !

Auch ihr Zimmer wird zusehend heimeliger. Sie bekam am Montag aufgrund ihrer Körpergröße ein größeres bzw. längeres Bett, einen Tag später einen „Galgen“, den wir immer wieder mal für unsere Übungen nutzen wollen, von uns eine für sie sehr viel besser ablesbare Uhr, auf der sie auch das Datum und den Wochentag sieht, …

… und wir planen gerade zusammen mit der Familie ihrer Zimmergenossin an einem nützlichen Regal für mehr Stauraum und einen darauf stehenden Fernseher, den dann beide gleichermaßen optimal nutzen können sollen. Denn was wir auf keinen Fall wollen, sind zwei TV-Geräte in einem Raum, die sich dann vielleicht sogar in der Lautstärke hochschaukeln würden oder am Ende dazu führt, dass die beiden nur noch mit Kopfhörern im Bett liegen. Mal sehen, wie die Mädels das alles am Ende hinbekommen – aber sie werden einen Weg finden, da bin ich mir ganz sicher    🙂

Ihre persönliche Ecke liebt Stephanie schon mal sehr:

Und diese wurde mittlerweile auch um weitere, von ihr gewünschte und ausgesuchte, selbstgemalte Bilder aus der ehemaligen Krankenhauszeit ergänzt. Schon allein deshalb sind wir der Meinung, dass sie angekommen ist.

Ein anderes Indiz dafür ist definitiv der Umgang mit dem Personal, denn wie wir unsere Stephanie ja alle kennen, findet sie sich immer ganz schnell zurecht und knüpft unheimlich schnell Kontakte. Das zeigt zum Beispiel diese Aussage in einem Gespräch, welche wir gestern von einer Pflegekraft bekamen, als Stephanie noch beim Essen war und somit nicht mithören konnte: „Stephanie ist ja so süß, sie macht sich um meine Gesundheit Sorgen und hat mich sogar gebeten, dass ich mit dem Rauchen aufhöre.“

Oder auch die Tatsache, dass sie jetzt chinesische Wörter und Phrasen lernt, da dies die Muttersprache einer Pflegekraft ist. Diese hat ihr anfangs mal „Ni Hau“ (= Hallo) beigebracht und ich googelte sogleich Danke (= Xièxiè), was das Kind dann noch am gleichen Besuchstag anwenden konnte – zumindest hat die Pflegerin danach sehr gelächelt und somit Stephanie bestärkt, noch weitere Wörter herauszufinden … na, da habe ich mir vielleicht was eingebrockt    😉

Gestern überraschte sie wiederum uns, denn wo ihr Russisch eigentlich sehr stark in Vergessenheit zu geraten scheint, erinnerte sich sofort und ohne langes Zögern an die Vokabel „Sehenswürdigkeit“ (= dostoprimecha-tel’nosti). Aber meine Zählung „odin, dva“ (1, 2) vervollständigt sie lieber mit dem spanischen „tres“ statt dem russischen „tri“. Ach ja, das Köpfchen …

Womit man ihr definitiv immer eine Freude machen kann, ist Essen. Gut, die krümeligen Kekse wurden ihr zwar noch verweigert, aber dafür bekommt sie jetzt nicht mehr nur püriertes Mittagessen (nur, wo es wirklich notwendig ist, wie z.B. Schweinebraten mit Soße) und auch schon Scheibenwurst und -käse aufs Brot … ein kulinarischer Traum geht für sie in Erfüllung!

Und wenn wir zu Besuch da sind und sie das Abendessen super kaut und herunterschluckt, so gut wie gar nicht hustet und wirklich jeden Bissen genießt, dann zaubern auch wir mal das ein oder andere Geschmackserlebnis aus dem Ärmel. Einmal hat Carsten als Überraschung aus der Küche zwei Scheiben Salatgurke mitgebracht … DEN glücklichen und genießerischen Gesichtsausdruck beim Kauen hättet ihr sehen müssen! Und gestern im Café auf dem Gelände probierte sie voller Freude unsere beiden Kuchenstücke …

… nachdem sie ihre Kugel Vanilleeis weggeschleckt hatte. Diesbezüglich mussten wir ihr auch gar nichts mehr großartig zeigen, denn nachdem wir ihr die Waffel in die Hand gedrückt hatten, fing sie schon an, wie ein Weltmeister zu lecken – das war letztes Wochenende ja noch völlig anders. Also scheint sie trotz der einen Woche Pause dazwischen die Bewegungsabläufe bereits verinnerlicht zu haben – Herz, was willst du mehr!

So etwas muss natürlich belohnt werden und als sie auch noch Carstens Fritz-Cola probieren wollte, hat er ihr gleich das letzte Viertel seiner Flasche für die nächste Übung gesponsert: trinken ohne Strohhalm … zuerst mit Hilfe, dann mit gebührender Vorsicht …

… und prompt war auch das Thema gegessen. Fortan süppelte sie fast schon wie ein Pullenprofi:

Leider geht es bei vielen anderen Dingen nicht immer ganz so schnell, aber wir geben nie auf. So hat sie z.B. das Prinzip des Drückens auf den Schwesternruf auch nach zigmaligem Übungsansatz und Zeigen nicht hinbekommen. Statt den Schalter richtig in die Hand zu nehmen und das beleuchtete Teil mit dem Zeigefinger wie den Anzug einer Pistole zu drücken, presste sie leider immer wieder nur mit dem Daumen und dem Zeigefinger von der Seite auf das rote Licht – das hat natürlich nicht ganz so zuverlässig funktioniert wie es sollte.

Nun will man ihr mal einen Buzzer besorgen, bei dem diese Schwierigkeiten dann natürlich nicht mehr bestehen.

Zum Glück blieb das Wetter hier im Norden noch recht angenehm, sodass wir während unserer Besuche auch weiterhin viel Zeit mit ihr im Freien verbringen konnten – bei Regen auch durchaus mal unterm schützenden Pavillon – sei es zum Abendessen im Grünen mit stets verfolgendem Blick auf die eifrig umherschwirrenden Schwalben und um sie herum hüpfenden Spatzen …

… oder zum Spielen mit uns, worauf sie sich immer ganz besonders freut. Da wird sie einfach nicht müde, auch wenn ihre Konzentration schon nach ca. 15-20 Minuten deutlich sichtbar abnimmt und sie sich dann mehr und mehr vertut oder auch mal gar nicht weiter weiß. Immer wieder gerne von ihr gewünscht sind erstaunlicherweise das Spiel mit den Memorykärtchen (der „Sechserpack“ aus Wolke, Regenschirm, Apfel, Birne, Möhre und Huhn/Hahn sitzt mittlerweile recht gut, aber auch die anderen Motive erkennt sie schon immer besser und überrascht mit neuen Worten – statt Wagen und Auto fiel einmal die Beschreibung Trabi) sowie Mathematikaufgaben und Zählen, doch auch mit ihren Bauklötzen und den Buchstabenkarten beschäftigen wir uns des Öfteren.

Aber bei all der Euphorie müssen wir weiterhin sehr viel Geduld ansetzen, wie sich u.a. gestern mit den Buchstaben (gesucht waren Tiere) gezeigt hat: beim C kam sie sofort auf Chamäleon, beim A wusste sie über Austern Bescheid (kann man essen, leben im Meer, aus den Perlen kann man eine Kette machen), aber beim H fielen ihr weder Huhn, Hahn noch Hund ein und beim N musste man ihr das Nashorn sogar etwas erläutern, aber beim R reichte das Hören des Wortes Rhinozeros schon wieder aus.

Solange sie nicht eigenständig Lesen oder im Internet surfen kann, bleiben wohl noch so einige Begriffe in ihrem Durcheinander da oben verschüttet, aber am Ende werden wir das sicherlich schon schaukeln. Wie schon öfters angemerkt: eine Baustelle nach der anderen und eben nicht alle gleichzeitig.

Zunächst bleiben wir bei der (Aus-)Sprache und dem Lockern der Zunge, der vollumfänglichen Nutzung der rechten Hand, der unterstützenden Hilfe der linken Hand und einer gewissen Bewegungsfreiheit im oberen Körperbereich – das wäre jedenfalls alles sehr nützlich für die oben genannte Zielstellung „Lesen und Surfen“. Danach kümmern wir uns dann erst aktiv um die Beine, mehr Möglichkeiten in der eigenen Fortbewegung (Wechsel zwischen Bett und Rolli ohne Lifter sowie selbstständiges Herumfahren) und den erneuten Aufbau von Wissen.

Wie würde Stephanie sagen: „Tschakka, ich schaffe das!“ … in diesem Sinne weitermachen und üben, üben, üben. Drückt uns und dem Kind bitte weiterhin die Daumen, dass die von vielen prophezeite Stagnation und die damit einhergehenden Gedanken ans Aufgeben noch ein wenig auf sich warten lassen – vor allem jetzt, wo ihr weder Singer noch Barthel mit Index-Punkten im Nacken sitzen    🙂    vielen lieben Dank. Den soll ich euch übrigens auch von Stephanie ausrichten, wenn wir ihr aus dem Blog, aus Emails oder von den vielen Kommentaren bei Facebook berichten bzw. vorlesen. Ich glaube, genau dies gibt ihr zudem stets weiteren Schub und Kraft für ihren Weg zur Genesung.



2021 05.
Juli

Hallo liebe Leser! Keine Angst, es ist alles in Ordnung und Stephanie geht es wirklich gut. Allerdings haben Carsten und ich einmal die Chance genutzt und sind übers Wochenende an die Nordseeküste von Cuxhaven gefahren – wir mussten unsere Gedanken auch mal um etwas anderes kreisen lassen als nur Arbeit, Krankenhaus und Alltagstrott. Das tat richtig gut!

Da sich Stephanies Papa samt Frau als Sonntagsbesuch angekündigt haben, nutzten wir gleich mal diese Möglichkeit aus und sind am Samstagmorgen zuerst ins Krankenhaus gefahren und von dort dann direkt bis zur Mündung der Elbe:

Diese Kugelbake symbolisiert u.a. das Ende des fast 1100 km langen Flusses. Damit hatte ich jetzt meine Füße also schon in der Quelle (Spindlermühle im Riesengebirge, Tschechien) und in der Mündung (Nordufer = Friedrichskoog, Südufer = Cuxhaven) dieses Stroms. Welchen durch Deutschland fließenden Fluss nehme ich mir jetzt mal als nächsten vor?     😉

Aber genug von uns, ihr seid ja eher hier, um mehr über Stephanies Zustand zu lesen und mehr von ihren Erfolgen der letzten Woche in Erfahrung zu bringen. Diesmal könnte der Eintrag aber sogar etwas kürzer als sonst werden, denn leider sind keine richtig großen Ziele erreicht und der Singer-Index (als PDF) bleibt gerade fest bei 13 stehen. Aber nicht, weil Stephanies Fortschritt stagniert oder sie nicht mehr will (ganz im Gegenteil!), sondern eher, weil die erreichten Dinge nicht unbedingt in diesem Index berücksichtigt werden … es sind eben wieder nur die klitzekleinen Schrittchen, die auf das ganz Große vorbereiten:

  • Bislang nur immer gewollt, schafft sie jetzt endlich einen richtigen High-Five-Gruß, d.h. die lässt ihre Hand beim Zusammenklatschen offen und ballt die Finger nicht noch schnell vorher zu einer Faust. Allerdings zieht sie dabei auch immer gleich noch das gesamte Begrüßungsprogramm aus High-Five + Kartoffel (allgemein auch als Fistbump bekannt) + Pommes durch.
  • Die linke Hand kann auch schon immer öfters mit eingebunden werden und wir trainieren stets mit ihr das Aufnehmen, Weitergeben und Festhalten. Zwar ist Rechts eindeutig die dominantere Seite und Stephanie will auch immer öfters alles nur mit „Rechti“ erledigen bzw. sogar „Linki“ die Dinge aus der Hand nehmen, aber dann schreiten wir ein. Die Spastik ist schon noch sehr hinderlich …

  • Innerhalb von nur zwei Tagen konnte sie ein rundes Kärtchen mit ca. 5 cm Durchmesser in der rechten Hand rumdrehen und am nächsten Tag sogar eine 1-Euro-Münze mit nur drei Fingern.
  • Sie schiebt sich mittlerweile mit dem rechten Zeigefinger selbstständig die Brille hoch – und zwar nicht mehr nur auf Zuruf, sondern immer dann, wenn sie selbst merkt, dass sie verrutscht ist.
  • Essen ohne Besteck und Trinken aus dem Schnabelbecher klappt ja schon seit ein paar Wochen, aber mittlerweile putzt sie sich auch selbst die rechte Hand am Schlabberlätzchen ab und wischt sich sogar den Mund damit … aber sie macht leider auch keinen Unterschied, ob da jetzt ein Lätzchen vor ihr baumelt oder ob es das eigene T-Shirt ist    😉
  • Sie nimmt nun beim Husten die Hand vor den Mund, auch wenn die Platzierung (zu weit entfernt) oder die Handhaltung (geballte Faust) noch recht optimierungsbedürftig ist.

Das schöne Sommerwetter lädt derzeit natürlich immer mehr zum Rausgehen ein, was sie ebenfalls sehr zu genießen scheint:

Dort kurven wir ein bisschen durch die Außenanlagen und den Wald und hocken uns am Ende immer irgendwo hin und quatschen, futtern oder spielen etwas. Einmal hat es draußen allerdings sehr stark geregnet und da sie aus dem Bett nicht viel davon sehen konnte, haben Carsten und ich sie an die Bettkante zum Fenster hingesetzt – sie war total happy! Sie findet ja gerade Regen so toll!

Doch glaubt mir, einfach ist es nicht, einen erwachsenen Menschen ohne jegliche Mithilfe seinerseits in die aufrechte Position zu bekommen und dann dort auch zu halten. Ich saß am Ende auf dem Bett in Stephanies Rücken und Carsten hockte neben ihr. Ich warte wirklich sehr sehnsüchtig auf den Tag, an dem sie dabei helfen kann, sich an der Bettkante aufrecht hinzusetzen oder auch mal in den Rollstuhl zu kommen. Hier ein Beispiel, wie so etwas mit dem Lifter, den sie mittlerweile viel mehr akzeptiert hat, aussieht:

Neben unserem täglichen Arm-, Hand- und Fingertraining, mit z.B. Holzklötzchen, Bällen in jeder Größe, stapelbaren Plastikbechern, einer Art Expander oder einen Kleinkindbuch mit extradicken Seiten zum Blättern, streuen wir derzeit auch immer wieder mal eine Bewegungseinheit für die Beine und Füße ein. Sie kann das linke Bein anziehen, aber nicht so gut gerade machen … dafür kann sich das rechte Bein wiederum besser durchdrücken als anwinkeln:

Baustelle neben Baustelle, doch wir müssen weiterhin lernen, eines nach dem anderen zu erledigen und gewisse Prioritäten zu setzen:

  • sie braucht eine sehr viel deutlichere Aussprache
  • sie muss beide Arme und Hände sehr viel mehr nutzen können und vor allem mit ihnen beweglicher werden
  • das Gleiche gilt für die Beine und Füße
  • hoffentlich schafft sie bald das Schlucken und Essen besser, denn laut Ärztin lässt sich gerade keine große Weiterentwicklung erkennen
  • sehr viel mehr Freiheit würde sie auch durch eine Verbesserung beim Sehen und der Wahrnehmung erlangen, denn derzeit sucht sie manchmal noch zu sehr im Raum und findet nicht das Ziel … beim Finden und Fokussieren offenbart sich immer wieder eine ihrer großen Schwächen
  • danach können die ersten Schritte zur Selbstständigkeit (Zähne putzen, waschen etc.) folgen, die so wichtig für ihre Indexpunkte wären
  • schon nach 20-30 Minuten merkt man, dass das Gehirn immer mehr in den Energiesparmodus wechselt und sie sehr unkonzentriert wird
  • große Sorgen bereiten uns ihre Unbeständigkeit bei den Farben (mal mehrere hintereinander richtig, an anderen Tagen scheint alles Grün oder Gelb zu sein) und ihre Erkennungsrate bei den Memory-Kärtchen (Wolke und Regenschirm derzeit top, dafür werden Apfel, Birne, Möhre und Hahn/Huhn weiterhin nicht erkannt)

Zum Glück will sie ja insgesamt schon immer alles mitmachen und ausprobieren, d.h. sie blockt nicht ab oder schmollt, sondern findet an allem was wir machen großen Gefallen. Das ist schon mal sehr viel wert. So haben wir ihr auch noch einmal das Gesamtbild erläutert, denn jetzt kommt es immer mehr darauf an, dass sie Fortschritte macht. Die Krankenkasse hat nun bis zum 1.8. verlängert, aber man könnte so langsam immer mehr Zweifel bekommen, dass es noch länger so weiter geht. Der Singer-Index mit 13 scheint sich gerade leider nicht sonderlich ändern zu wollen, da hierbei aber auch nur auf ganz bestimmte Dinge fokussiert wird, die derzeit bei ihr noch Zukunftsmusik und somit weit entfernt sind. So z.B. selbstständiges Waschen und Körperpflege, An- und Auskleiden, Toilettennutzung oder aber die Fähigkeiten der Fortbewegung und des Gehens. Da müssen bald sehr viel deutlichere Erfolge her – andernfalls steht demnächst dann doch der Wechsel in eine Pflegeeinrichtung ins Haus, was am Ende aus medizinischer Sicht sicherlich nicht schlechter ist, aber für uns würde sich der Weg dorthin leider verdoppeln. Wir hangeln uns da gerade etwas von Monat zu Monat …

Oh oh, es ist ja doch sehr viel mehr geworden als ich anfangs gedacht habe – ich bitte um Entschuldigung. Aber diese Punkte möchte ich noch schnell mal loswerden, denn sie machen mich unheimlich stolz:

Ein mit dem Zeige- und Mittelfinger geformtes Handzeichen hat sie sofort als Peace-Zeichen erkannt. Dann hat Carsten sie noch gefragt, welcher Buchstabe damit gezeigt werden würde und sie antwortete darauf völlig selbstverständlich „Das V!“. Also legte ich noch einen drauf und habe gefragt, welche Zahl das V in der römischen Schreibweise darstellt und ihre Antwort war ohne große Überlegung „Fünf!“. Wow, ich war platt – sie kann also noch die römischen Zahlen erkennen!

Als nächstes überraschte sie mit ihrem Wissen bezüglich Uhrzeiten. Eine Zeigeruhr kann sie zwar leider nicht mehr ablesen, dafür aber eine digitale Uhr und dabei sogar auch noch ausrechnen, wie viele Minuten es z.B. noch bis zur vollen Stunde sind – bei 19:55 nannte sie korrekterweise 5 Minuten. Damit hatte ich eigentlich nicht gerechnet.

Und auch bei der Sprache erstaunt sie mich immer wieder. Sie weiß, dass „Vielen Dank“ auf Französisch „merci beaucoup“ heißt und auch im Gespräch mit einer Zypriotin lässt sie weiterhin gekonnt die ein oder andere englische Phrase raus. Zum Russischen sage ich jetzt lieber nichts …     😉

Wir haben ihr mal ein paar Zeilen ihrer Schwester ausgedruckt (DinA4 mit Arial 16) und sie hat alles selbstständig und ohne uns durchgelesen, verstanden (selbst so ein Wort wie Bouldern … Wir: „Was ist das?“, sie: „Ein Sport, Klettern!“) und konnte am nächsten Tag sogar ein paar Informationen daraus wiedergeben:

Beim heute veröffentlichten Facebook-Eintrag (eine Story über Stephanie) hat die Klinik sie nicht ganz zu Unrecht als „Die Kämpferin“ betitelt – ja, das ist sie!

Halte weiterhin durch, meine kleine/große Kämpferin!!!



2021 27.
Juni

Carsten und ich hatten diese Woche Urlaub und somit waren wir nicht nur nach der Arbeit abends bei Stephanie im Krankenhaus, sondern auch schon mal aufgrund von Terminen vormittags sowie am frühen Nachmittag. Für das Kind definitiv ein Gewinn!

Ich versuche, die Zusammenfassung wieder in sinnvolle Blöcke zu unterteilen und fange mal mit der Aufgabe der Woche an … jedenfalls die, die Stephanie sich selbst gestellt hat. Dazu muss ich kurz ein wenig ausholen. Als sie weder trinken noch essen konnte, mussten natürlich Alternativen her. Die Nährstoffe bekam sie über einen Beutel direkt an ihr PEG (ihre Magensonde durch die Bauchdecke), was sich ja erledigt hatte, nachdem sie wieder ausreichend aß. Bis heute bekommt sie aber auch noch ihren Flüssigkeitsbedarf über dieses PEG, in der Regel verschiedene Tees aus einem hängenden Beutel ähnlich eines Infusionsständers.

Nun stellte man ihr Anfang der Woche in Aussicht, dass wenn sie ausreichend trinkt, auch der Beuteltee endlich wegfallen würde … und das hat sie so richtig angespornt. Vor ein paar Tagen konnte sie noch nicht einmal alleine den Becher vom Nachtschränkchen nehmen und trinken, da sie a) den (Schnabel-)Becher nicht immer gut in der Hand positioniert bekam und b) beim Absetzen noch zu viel verkleckerte. Doch jetzt mit Hilfe ihres selbst gesteckten Ziels „Der Schlauch muß weg!“ hing sie sich so richtig rein und bis zum Wochenende legte sie zumindest schon mal alle dafür notwendigen Grundsteine: sie nimmt jetzt mit der rechten Hand den (Schnabel-)Becher auf, führt ihn relativ zielsicher zum Mund, trinkt und schluckt wie man es von ihr erwartet und setzt den Trinkbecher auch wieder ohne großes Geschlabber zurück. Gestern Vormittag schaffte sie so schon an die 600 ml Trinken und in meinem Beisein (ich unterhielt mich gerade mit dem Pflegepersonal) leerte sie zudem schon wieder den nächsten Becher. Freiwillig und ohne Druck samt des Credos „üben, üben, üben“ scheint sie nun einen weiteren Meilenstein geschafft zu haben. Mal sehen, wann der Beutel tatsächlich verschwinden wird.

Und wie auch schon einmal von mir angesprochen, sind Carsten und ich jetzt definitiv sicher, dass man Stephanie mit einem Teller voller Essen (egal ob für die Finger oder einer Gabel portioniert oder auch zum Greifen und Abbeißen) und ihrer Trinktasse an einen Tisch setzen kann und sie würde schon ganz allein in Eigenregie essen können. Natürlich wenigstens noch unter direkter Beobachtung, falls doch mal etwas passieren sollte, aber eben nicht mehr zum stetigen Füttern. Leider ist das noch bei den Mahlzeiten notwendig, bei denen Löffel oder Messer und Gabel unabdingbar sind … aber an dieser Fingerfertigkeit werkeln auch schon mehrere – u.a. wir.

Da wir während unseres Urlaubs nicht auf ein strenges Zeitmanagement oder Arbeitszeiten angewiesen waren, konnten wir direkt nach ihren täglichen Therapien (i.d.R. gegen 15:30) auch mal etwas mehr Zeit für unsere eigenen kleinen Therapie- und Übungsansätze nutzen. Das mit dem Essen und Trinken sehen wir aufgrund der letzten Tagen als relativ erfolgreich abgeschlossen, denn es fehlt jetzt eigentlich nur noch das Feintuning. Als neuere Ziele haben wir uns nun sehr viel mehr Fingerfertigkeit der rechten Hand sowie überhaupt eine regelmäßige Nutzung der linken Hand (diese ist immer noch stark von der Spastik betroffen) vorgenommen.

Dass Stephanie die linke Hand mit der rechten kompensiert, sieht man daran, dass sie Dinge sehr schnell mit rechts aus der linken Hand nehmen und verwenden kann. Dementsprechend starteten wir die Aufgabe, einen Gummiball nicht nur mit links aufzunehmen und an rechts weiterzugeben, sondern eben auch in die Gegenrichtung. Es dauerte ein wenig, bis Stephanie die richtige Handpositionen für eine Übergabe gefunden hat, denn ihre beiden Handinnenflächen zeigen noch kontinuierlich nach unten oder höchstens zum Körper – eine Drehung der Handge-lenke kann sie mit eigener Muskelkraft leider noch nicht umsetzen. Aber selbst trotz dieser Einschränkung konnte sie in nur wenigen Tagen recht zielsicher etwas von links nach rechts übergeben (da war es wieder: üben, üben, üben).

Also haben wir gegen Ende der Woche weitere Aufgaben mit in unser Trainingsprogramm aufgenommen: sie kann jetzt schon mit den einzelnen Fingern ihrer rechten Hand Holzklötzchen aufnehmen und diese mit etwas Finger-spitzengefühl (und Geduld!) zu einem Türmchen stapeln – Maximum = 5 Klötzchen … mehr haben wir im Zimmer leider nicht zur Verfügung.

Das gleiche Ziel erreichten wir auch schon mit hohlen Plastikbechern, die Stephanie der Größe nach zu einen Turm aufstapeln kann – da hier aber mehr Präzision beim Aufsetzen bzw. Feinmotorik als bei den Holzklötzchen erforderlich ist, ärgert sie sich am Ende umso mehr, wenn der Turm vorzeitig einstürzt. Doch wer sie kennt weiß: sie lässt nicht locker, bis es nicht mindestens einmal geklappt hat!

So nutzen wir hauptsächlich Spiel und Spaß für unsere Bewegungs- und Koordinationstrainings, aber selbst bei offensichtlichen Muskelübungen macht sie bislang viel mit und freut sich selbst wie Bolle über die Erfolge. So hat Carsten z.B. mal eine Stange „gebaut“, mit der wir nun die Drehung der Handgelenke üben wollen, sowie hoffentlich etwas mehr Beweglichkeit in ihren Rumpf bekommen können:

Und glaubt mir, auch für uns sind solche Übungen – selbst als „Lehrer“ – mehr als anstrengend …    😉

Derzeit liebt sie aber besonders das Zuwerfen von Bällen oder Gegenständen (z.B. Taube Elfie), die sie zuerst auf dem Bett oder an ihrem Körper suchen muss, dann natürlich vornehmlich mit der rechten Hand aufnimmt und nach Aufforderung an eine Person im Raum weitergibt oder sogar auch schon etwas zurückwirft. Ja, auch hier herrscht wieder mal eine große Lücke zwischen unserem „ist doch leicht“ und dem für sie recht komplizierten Ausführen einer Vorwärtsbewegung mit gleichzeitigem Loslassen – am Ende dann doch gar nicht sooooo einfach!

So wurde zudem mal wieder der Volleyball aus dem Schrank geholt und sie hat sofort vor Glück strahlende Augen bekommen. Den wirft sie natürlich noch nicht, aber sie kann ihn schon mit beiden Händen annehmen oder vom Bett aufheben und an jemand anderen weiterreichen. Als Carsten sie aufforderte, doch mal gegen den Ball zu schlagen, sagte sie sofort „Wie beim Abschlag!“ … dies erneut ein Erinnerungsfetzen aus der Vergangenheit, der in dem Moment sofort abrufbar war. Doch an einfachen Alltagsbegriffen und / oder vor Kurzem ereignete Dinge scheitert sie leider immer wieder …

Ich nehme dies jetzt mal als Übergang vom körperlichen Training zum geistigen – hier wartet auf alle Beteiligten noch eine sehr sehr große Baustelle. Stephanies Kurzzeitgedächtnis ist … hmmm, mir fehlen die richtigen Worte    🙁    … vielleicht etwas seltsam strukturiert?!? Sie kann sich nämlich nicht immer erfolgreich an allgemeine Dinge erinnern, wie z.B. was es zum Frühstück bzw. Abendessen gab oder wer gerade dies oder jenes (z.B. Orthese angelegt) gemacht hat oder wer sie heute schon im Zimmer besucht hat. Andererseits lernt sie die Namen der Personen um sie herum sehr schnell und selbst ein so komplizierter Name wie Basheer Farsherat (der Name ist aus Datenschutzgründen etwas verändert worden) wusste sie selbst noch, nachdem dieser Arzt aus dem vierwöchigen Urlaub zurückgekehrt war und nun vor ihr in ihrem Zimmer stand – nee nee, ohne Namensschildchen lesen! Darauf hatte der gute Mann schon geachtet    😉

Es lässt sich also nie genau sagen, ob ihr Kurzzeitgedächtnis funktioniert oder nicht, denn manchmal ja, manchmal aber auch nicht. Und genau so ist es bei Alltagswörtern, denn sie erkennt eine Gabel und einen Löffel auf Anhieb, aber ein Messer und auch einen Teller kann sie nicht benennen, wenn man es ihr zeigt. Oder sie kennt Wörter bzw. reagiert adäquat auf Sprüche und Phrasen, die eigentlich nicht sehr alltäglich sind … der Oberarzt bei der Visite: „Sie sitzt da wie ein Pascha.“ … Stephanie lachte sehr herzlich über diesen Satz … woher kannte sie noch den Begriff Pascha?

Und genau bei dieser Visite stellte der Oberarzt im Beisein von uns, der Pflegedienstleitung und oben genanntem Arzt noch die Frage, wie sie denn die neue Station so findet und von ihr kam ein recht enttäuschendes „Geht so.“ … *SCHLUCK* … dann aber auch gleich der Nachtrag:“So viele neue Namen!“ … *PUH*

Aber zurück zum geistigen Zustand. Seit knapp zwei Wochen versuche ich, ihr diese sechs Memory-Kärtchen beizubringen:

Also noch kein richtiges Memory spielen, sondern erst einmal nur das Bestreben, ihr die Symbole auf diesen sechs Kärtchen ins Bewusstsein zu pflanzen. Das Huhn bleibt für sie wohl immer ein Hahn (oder Vogel) – geschenkt. Die Wolke erkennt sie mittlerweile auf Anhieb – wenigstens eines. Aber den Rest, also Apfel, Birne, Möhre und Regenschirm, erkennt sie einfach nicht … selbst nicht nach zahlreichen, aber vom Wort noch nicht zu viel verratenden Hinweisen, wie z.B. „Das frisst der Hase gerne“, „Man hält es zum Schutz in der Hand“ (bei Regen wäre zu einfach!) oder „Dieses Obst isst jeder Deutsche gerne“. Klar, auch ich weiß, das diese Fähigkeit sicherlich mal wieder zurückkommen wird, aber ich finde es schon recht schräg, wenn man mit ihr mehrere Tage hintereinander nur diese paar Bildchen durchgeht und sie am nächsten Tag leider immer wieder bei Null anfangen muss.

Ein völlig anderes Bild dann wieder bei mathematischen Aufgaben (mittlerweile ist es egal, ob es abgelesene oder ausgesprochene Zahlen mit Rechenzeichen sind) oder anderen Dingen, die vermeintlich komplizierter sein sollten. Hier z.B. meine gestrigen Fragen aus dem „Übungsbuch Hirnleistungstraining“:

Vervollständige: Am liebsten esse ich … „Käsekuchen“ (eindeutig etwas aus der Vergangenheit)
Vervollständige: Abends mache ich oft … „Fernsehen“ (aktuelles Geschehen)
Vervollständige: Ich finde es schrecklich, daß … „ich so viel vergesse“ (sie ist sich der Lage bewusst)
Vervollständige: Am meisten habe ich Angst davor, daß … „ich nicht gesund werde“ (vorausschauend)
Wahr oder Falsch: Ein Dutzend sind 12 Stück … „Richtig“ (das kam dann auch ohne große Überlegung)
Einmal fiel das Wort Bier und sie meinte, dass sie richtig Lust darauf hätte …

Natürlich hat sie auch bei vielen Fragen nicht immer richtig gelegen oder die oben genannten Lücken bei den Alltagsgegenständen taten sich auf:

Wahr oder Falsch: Eine Gabel ist größer als eine Mistforke … „Was ist eine Mistforke?“
Wahr oder Falsch: Die Sekretärin öffnet die Briefe mit dem Handfeger … „Was ist ein Handfeger?“

Hier mal ein direkter Bezug zu meinen oben getroffenen Aussagen bei einem Kartenspiel, wo anhand von Motiv, Farbe oder Anzahl ein Anlegen möglich sein soll oder nicht. Denn während einer Ergotherapie mit Schwerpunkt Hirnleistungstraining – Carsten und ich waren nur zufällig anwesend – wurden wir prompt zum Mitspielen eingeladen. Zu viert spielten wir also das Kartenspiel „Speed“ , bei dem eine Karte je nach Motiv (Ballon, Tanne, Fahne, Stern Haus & Drache) …

… Farbe (blau, grün, gelb, lila, rot & schwarz) oder der Motivanzahl (1-5) abgelegt werden sollte. Wir kommunizierten sehr viel mit Stephanie, was genau sie auf ihrer Karte und den dreien auf dem Tisch erkennen könne bzw. was man richtig zuordnen könnte. Sie hatte Spaß, war beim Spielen sehr konzentriert und bewies Überblick sowie ein Ver-ständnis für das Spiel, aber leider stimmte immer nur die Anzahl der Motive bei ihr, bei der Farbe hatte sie manch-mal ihre Schwächen und bei den doch recht eindeutigen Motiven (s.o.) erkannte sie fast nie eine Übereinstimmung zu den Karten auf dem Tisch und der in ihrer Hand. Auch hier also wieder deutlich ihre Stärken im mathematischen (Anzahl) und ihre Schwächen beim Verarbeiten von Bildern (Motiv).

Zum jetzigen Zeitpunkt und in ihrem Zustand ist dies sicherlich nichts, was einen beunruhigen oder gar verängsti-gen sollte – aber mal ehrlich, wir haben doch bislang alle gedacht, dass das Sehen und Wahrnehmen mit die einfachste Form der Verarbeitung im Hirn sein dürfte. Schließlich ist dies gefühlt doch mit das Selbstverständlichste auf unsere Sinne bezogen, oder liege ich mit meiner Meinung da so sehr daneben?

Zum Glück zeigen ihre derzeitigen Fortschritte (die jetzt übrigens wohl auch zu einer Aufenthaltsverlängerung im Krankenhaus bis zum 1.8. geführt hat) aber, dass Stephanie noch lange nicht am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt ist. So konnten wir in den letzten Tagen und Wochen bei ihr schon wieder diese Dinge üben und sie für eine eigenständige Durchführung verinnerlichen:

  • ihre Brille mit dem gestreckten Zeigefinger der rechten Hand hochschieben
  • aus der Schnabeltasse trinken (vom Tisch nehmen, trinken, absetzen)
  • einen Gegenstand von der linken in die rechte Hand und umgekehrt übergeben
  • Essen mit den Fingern oder einer Gabel vom Teller nehmen, abbeißen und den Rest wieder zurücklegen

Und das sogar bei der Bullenhitze, die in der letzten Woche über Deutschland und den Norden hinweg gezogen ist. Stephanies Fenster liegt leider genau zur Südseite und aus versicherungstechnischen Gründen lassen sich diese nicht öffnen – nur ein kleines Oberlicht kann Frischluft spenden. Anfangs musste Carsten noch als Handtuch wedelnder Kältespender ran und sie hat es richtig genossen …

… aber seit Dienstag hat sie nun auch einen Miefquirl a.k.a. Standventilator neben dem Bett stehen. So lässt es sich bestimmt etwas besser aushalten und die nächste Hitzewelle rollt ja schon wieder auf uns zu.

Stephanie scheint zudem auch mittlerweile sehr gut auf der neuen Station angekommen zu sein und fühlt sich dort so richtig wohl, denn wo sie anfangs noch gegen den Speisesaal war und lieber alleine im Zimmer essen wollte, antwortete sie einmal im Laufe dieser Woche auf die Frage einer Schwester, ob sie im Rolli mit in den Speiseraum kommen will, mit einem deutlichen „Ja“. Carsten und ich waren gelinde gesagt etwas überrascht …

Wir nutzten unseren Urlaub auch dazu, einmal bei der Chefarztvisite am Mittwochmorgen anwesend zu sein und das Fazit ist, dass man weiterhin sehr mit ihrer Entwicklung (auch nach dem Stationswechsel) zufrieden ist. Die linke Hand bleibt ein wenig das Sorgenkind (evtl. später noch einmal Botoxen) und die Pflege arbeitet als nächstes Ziel mehr am selbstständigen Essen und Trinken sowie ggf. am eigenständigen Waschen, Zähneputzen und Kämmen – natürlich immer mit einem Blick auf den Singer-Index (als PDF).

Zum Abschluss noch diese kleine Anekdote:
Ich sollte ihr gestern den aktuellen Blogeintrag vorlesen und sie fand alles ganz toll … nur der sinngemäße Satz „25 Jahre alt, aber manchmal wie eine Dreijährige“ fand sie etwas enttäuschend. Aber sie will unbedingt weitermachen und weiter so tapfer durchhalten – TSCHAKKA!!!



2021 20.
Juni

DAS zentrale Thema dieser Woche ist natürlich der Besuch von Andrea und Karl, die extra für Stephanie aus der Steiermark (Österreich) vorbeigekommen sind, denn vor Kurzem fielen endlich die bislang verhindernden Corona-Beschränkungen. Besonders die, dass nach grenzüberschreitenden Reisen nun keine Quarantäne mehr nötig ist. Diese Chance für einen ersten Besuch seit der Verlegung in den Hohen Norden ließ sich ihre große Schwester nicht entgehen. Und auch wenn der Anfang des Aufeinandertreffens sicherlich etwas enttäuschend war (Stephanie hat Andrea live nicht auf Anhieb erkannt) wurde es insgesamt eine supertolle Zeit und beide haben in den vier Tagen (Montag bis Donnerstag) jede gemeinsame Minute sichtlich genossen:

Ich möchte an dieser Stelle einmal kurz ein paar Antworten auf einen Kommentar zum vorherigen Blogeintrag geben. Ja, vor dem Vorfall im August letzten Jahres hatten die beiden immer einen sehr engen Kontakt, wenngleich zwischen ihnen auch ca. 600 km Luftlinie gelegen haben – Stephanie wohnte in Potsdam bzw. in Berlin bei ihrem Freund und Andrea mit Karl in Leoben, Österreich. Wenn sie sich nicht gerade gegenseitig besucht haben oder zu anderen Gelegenheiten, wie z.B. Familienfesten, etc., zusammenkamen, dann hatten sie zumindest viel Kontakt via Skype, Telegram, Instagram oder anderen elektronischen Diensten. Sie haben eben schon immer wie Pech und Schwefel zusammengehalten und wenn sie aufeinander trafen, waren andere um sie herum mehr oder weniger abgemeldet. Ich erinnere mich dabei an eine Autofahrt von Dresden nach Berlin im Sommer 2019, bei der die beiden quatschend auf der Rücksitzbank saßen … Carsten und ich hatten dabei komplett Sendepause. Sie machten ihre Späßchen (die zum Teil auch nur sie lustig fanden oder verstanden), giggelten wie Teenager und wenn dann doch mal eine Frage von vorne nach hinten gestellt wurde, musste zuerst noch einmal von ihnen nachgefragt werden, denn beide waren voll aufeinander konzentriert.

Dementsprechend war natürlich der August 2020 eine große Zäsur. Die Große hatte vor den Beschränkungen durch Corona noch ein paar Mal die Gelegenheit, Stephanie auf der Intensivstation der Charité zu besuchen, aber zu dem Zeitpunkt war ihre Schwester natürlich noch nicht ansprechbar – aufgrund des Wachkomas bzw. der Vollsedierung. Danach hat Andrea uns immer wieder mal etwas zugeschickt, was wir der Kleinen dann im Krankenhaus auf dem iPad abgespielt haben: Audiodateien („Gelaber“ wie sie es nannte, Vorlesen aus einem Buch) als Stephanie noch nicht ansprechbar war bzw. nicht reagieren konnte, weitere Audioaufnahmen, als sie so langsam aufwachte, und danach dann immer wieder mal Videos mit Erzählungen aus dem täglichen Leben, Erinnerungen aus alten Tagen, Fotostreifzügen nach Themen (z.B. schreckliche Outfits auf alten Fotos, Postkarten aus aller Welt), sowie Spiele zum Mitmachen und Trainingseinheiten (z.B. Tiergeräusche oder Lieder erkennen, gemeinsame Zungenbewegungen).

Natürlich hatte ich mit Stephanie schon seit ca. einer Woche den Besuch der großen Schwester vorbereitet und mit ihr viele Fotos und Videos geguckt sowie die Tage heruntergezählt. Dann kam endlich der große Tag … und Stephanie hat ihre Schwester im Zimmer nicht wiedererkannt bzw. auf Nachfrage wer das denn sei, leider den Namen einer von ihr heiß geliebten Pflegekraft genannt. Für uns eben auch wieder ein Beispiel dafür, dass dieses Köpfchen sehr viel abbekommen und das Gehirn sicherlich sehr viel verloren hat oder darin noch sehr viel aufgeräumt und neu verknüpft werden muss. Erst als der Name Andrea fiel, wurde ihr bewusst, dass ihre „Eumy“ endlich zu Besuch da ist. Von Montag bis Donnerstag war die große Schwester jedenfalls immer mit dabei und der Rest, also Karl und Carsten, teilte sich dynamisch mit rein, damit man nur zu zweit oder zu dritt im Zimmer war. Denn bei vier Leuten hat Stephanie schon den Überblick verloren und war mit der Situation insgesamt etwas überfordert – einfach viel zu viel Tumult um sie herum. Das zeigte sich z.B. ganz schnell am allerersten Tag, wo wir zuerst noch für das erste Aufeinandertreffen gemeinsam zu viert im Raum standen und sie völlig aufgedreht und trotzdem verwirrt wirkte. Erst als Carsten und Karl spazieren gegangen sind, konnte sie sich völlig auf Andrea konzentrieren und ihre Freude endlich in vollen Zügen genießen.

Da wir nun seit der Verlegung von den ärztlichen und therapeutischen Dingen nicht mehr so viel mitbekommen (es spielt sich ja jetzt leider nicht mehr alles im Zimmer oder auf der Station ab), konzentrieren wir uns derzeit mehr auf Quatschen, Abläufe wiederholen, Neues üben, Körpermuskeln trainieren, Lernen, Spielen, Spaß haben und immer wieder mal das herauskitzeln, was da noch im Gedächtnis geblieben ist bzw. was sich neu verknüpfen müsste.

Beim Quatschen werden Ereignisse des Tages oder der Woche zusammengefasst und durchgesprochen, Fotos gezeigt und damit Dinge abgefragt (wer, wo, wann) oder Stephanie auf zukünftige Besuche vorbereitet – in der Arbeitswoche waren Andrea und Karl da, am heutigen Sonntag der leibliche Vater.

Beim Wiederholen von Abläufen versuchen wir das Erlernte zu festigen, Bewegungen zu verfeinern und wie bei einer Konditionierung bestimmte Zeichen oder Hinweise einzuüben. Hierzu gehören zum Beispiel die Sätze „Schieb mal bitte deine Brille hoch.“ (sie ballt die rechte Hand zur Faust, sucht damit die Nasenspitze und drückt idealerweise mit dem Handrücken am Mittelsteg die Brille in die richtige Position), „Hol die Elfie!“ (sie sucht die Umgebung nach ihrer Stofftiertaube ab, fokussiert sie und versucht dann mit ihren Händen nach ihr zu greifen) oder den Gruß „Kartoffel … Pommes“ (bei Kartoffel wird die Hand zur Faust geballt, bei Pommes erwartet man eine flache Hand mit gespreizten Fingern).

Beim Üben von Neuem wollen wir ihr immer wieder neue und nützliche Dinge beibringen, die sie zum einen herausfordern, zum anderen aber auch Langeweile vermeiden sollen. Essen mit den Fingern kann sie ja schon seit ein paar Wochen, gestern versuchte ich es mal mit dem selbstständigen Trinken aus einer Schnabeltasse und dem Abwischen des Mundes mit einer Serviette – das dauert sicherlich noch ein paar Tage, doch die Ansätze waren schon gut. Am Freitag hat sie der Logopädin und uns sogar schon zeigen können, dass sie mit einer Gabel etwas aufpieksen und in den Mund stecken kann … die Ergebnisse teilen sich aber leider noch in „Stück im Mund“ = 60%, „leere Gabel im Mund“ = 40% und „Sauerei auf dem Lätzchen“ = 20% auf. Vorrangig konzentrieren wir uns derzeit aber noch auf die Hände und Arme, damit sie mit mehr Bewegungsfreiheiten (hochgehobene Oberarme, Drehung in den Handgelenken, koordiniertere Fingerfertigkeiten) und Feingefühl (Druck, Ablegen) sich vielleicht bald auch mal mit einem Buch, einem eBook oder dem Nutzen der TV-Fernbedienung auseinandersetzen kann.

Beim Trainieren der Körpermuskeln liegt der Fokus natürlich auf einem spielerischen Gebrauch und Ausnutzen aller Bewegungsfreiheitsgrade, ohne dass Stephanie lange darüber nachdenken muss oder Schmerzen hat. Dazu nutzen wir das Weitergeben von Bällen zu allen Seiten, das Heben und Senken von Gegenständen in bestimmte Richtungen, das Massieren, Halten und „Verbiegen“ von Körperteilen oder auch das oben genannte Fingerspiel „Kartoffel / Pommes“.

Beim Lernen sind wir von den zu erwartenden Leistungen einer 25-jährigen natürlich noch ganz weit entfernt, aber manches ist auf Grundschulniveau und manches sogar schon fast 8./9. Klasse. Jedenfalls macht ihr das Abfragen sehr großen Spaß, sei es die immer von ihr gewünschte Mathematik (Zahlen bis 20, alle Grundrechenarten), diverse Sprachen (Englisch, Französisch und ein wenig Russisch), das Lesen (Buchstaben und Wörter kennt sie noch), das Allgemeinwissen (Namen von Gegenständen, Musik) oder andere Felder des allgemeinen Lebens. Insbesondere für ihre Kommunikation und den Konversationen bringt ihr das immer wieder einen gewissen Vorteil, denn sie weiß mittlerweile auch schon, wie man Gespräche für beide Seiten durchaus interessant halten kann.

Beim Spielen denken wir natürlich in erster Linie an Beschäftigung und Spaß haben, versuchen darin aber auch gleich schon viel vom Erlernten, Geübten und Trainierten mit unterzubringen. Also z.B. Seifenblasen machen (Pusten), Kartenspiele (Fingerfertigkeit und Lesen), Ballspiele (Bewegungen), Turmbau mit Gegenständen (Koordination und Druck) oder auch „Walisch“-Sprechen wie bei „Findet Nemo“ (ganz ehrlich, manchmal sind ihre „walisch“ gesprochenen Sätze so sogar besser zu verstehen)    😉

Der Spaß steht für alle natürlich immer im Vordergrund und davon ist stets genug im Raum. Sei es durch Musik, durch die Besucher oder die Situation – es wird viel gelacht, herumgeblödelt, Faxen gemacht und herumgealbert. Manchmal lacht Stephanie aber auch aus vollem Herzen ohne großen, vorherigen Witz: Olga niest, das Kind lacht Tränen und auf die Frage „Warum?“ antwortet sie nur „Weiß ich nicht!“. Doch wer sie kennt weiß, dass um sie herum und mit ihr Freude und Heiterkeit immer in der Nähe sind, gell?

Und genau diese ganzen Dinge haben von Montag bis Donnerstag auch Andrea und Karl mit sehr viel Ehrgeiz mitgemacht und Stephanie hat sicherlich sehr davon profitiert:

Am Freitag allerdings waren Carsten und ich schon wieder alleine an der Front und hatten zudem auch noch ein Gespräch mit ihrer derzeitigen Logopädin, die uns und das Kind gerne kennenlernen, ihre durch uns erhaltenen Fähigkeiten sehen (steht ja nicht mehr in irgendeinem therapeutischen Übergabeprotokoll) und vor allem ihr weiteres Vorgehen vorstellen wollte. Diesmal hat Stephanie bei dieser Testsituation sehr gut mitgemacht und somit konnte sie der Logopädin zeigen, dass sie bereits mit den Fingern essen (Würstchen oder Käsestange greifen, abbeißen und zurücklegen) und sogar richtig gut kauen und schlucken kann. Bei ihr hat sie sogar das oben beschriebene Essen mit der Gabel recht gut hinbekommen, denn des Öfteren konnte sie ein vorgeschnittenes Häppchen Kaiserschmarrn mit Vanillesoße erfolgreich zum Mund führen und in den selbigen stecken. Die Logopädin ist mit dem Schlucken schon sehr zufrieden und sie berichtete, dass Stephanie bis zum Mittag auch schon ganze 500 ml Flüssigkeit (i.d.R. Wasser mit Andickungsmittel) getrunken hat und insgesamt eigentlich alles ganz gut klappt … beim Schlucktraining, Kehlkopftraining etc. macht sie nicht nur mit, sondern adaptiert auch recht schnell das Erlernte. Außerdem findet die neue Logopädin Stephanies Sinn für Humor ganz toll    🙂    und sie möchte uns noch weitere Infos und Trainingsunterlagen zukommen lassen, damit auch wir an ihrem Konzept anknüpfen können.

Erst als die Therapeutin weg war, zeigte sich bei Stephanie der Nachteil eines Kaiserschmarrns – teilweise zu trocken, aber am Ende nach dem Kauen auf jeden Fall eine viel zu klebrige Masse. Jetzt verschluckte sie sich leider immer öfters … aber das war im Nachgang schon wieder Geschichte, denn mit dem Vertilgen von Erdbeeren klappte es wieder bestens!

In der kommenden Woche haben Carsten und ich Urlaub und auch diesmal steht bei uns nicht das Reisen im Vordergrund … Corona und Stephanie. Wir wollen unseren Alltag an den fünf Tagen plus zwei Wochenenden ein wenig entschleunigen. Die dadurch gewonnene Zeit und Kraft werden wir dann sicherlich vorrangig in gemeinsame Stunden mit unserer lebensfrohen Kämpferin investieren – da haben wir alle zweifelsohne ganz viel Spaß!

Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass Stephanie den Ohana-Spruch aus „Lilo & Stitch“, unserem Familienfilm, ohne Probleme komplett aufsagen kann? „Ohana heißt Familie und Familie heißt, dass alle zusammen halten und füreinander da sind“ …. das ist schon seit Jahren unser Lieblingsspruch und er hat aus meiner Sicht in der jetzigen Situation noch einmal enorm an Bedeutung dazugewonnen. Ich schätze, Stephanie sieht es genauso!

Zum Abschluss noch die Antwort zu einer weiteren Frage aus einem Kommentar zum vorherigen Blogeintrag: „Außerdem würde mich interessieren was für Behinderungen die jungen Menschen haben mit denen Stephanie nun zusammen ist, z.B. im Essenszimmer?

Wir haben bislang in dieser Intensiv- und Rehaeinrichtung verschiedenste Krankheitsbilder kennenlernen dürfen. Zum einen natürlich das, was auch Stephanie hat: eine Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff aufgrund eines Unfalls, einer Krankheit oder eines Suizidversuches. Aber auch neurologische Schädigungen aufgrund einer nicht erfolgreich verlaufenen Operation am Rücken, Kinder mit Down-Syndrom/Trisomie 21, Muskelerkrankungen, Krebserkrankungen mit neurologischen Komplikationen oder auch Epilepsie werden hier behandelt.

@Daniela: Hoffentlich ist Deine Frage damit ausreichend beantwortet, doch wenn nicht, dann schreib mir doch bitte eine Email oder Fazzebuck-Nachricht und ich gucke mal, was ich sonst noch so in Erfahrung bringen kann.



2021 13.
Juni

Das erste Highlight dieser Woche ist schnell erzählt, macht aber etwas nachdenklich: gestern war bereits ihr 250. Tag in der Rehaklinik … d.h. zudem, dass übernächste Woche schon ganze 300 Tage seit ihrer Lungenembolie vergangen sein werden (heute ist Tag 291) – Wahnsinn, oder? Wo ist nur die ganze Zeit geblieben?!?!

Und wie schon letzte Woche im Schlussabsatz angekündigt, ist Stephanie am Dienstag auf dem Weg ihrer tollen Genesung in das mittlerweile vierte Zimmer eingezogen: am 26. August 2020 kam sie auf die internistische Intensivstation der Charité, wechselte am 4. September auf die neurologische Intensivstation der Charité, am 5. Oktober 2020 fuhr sie ca. 300 km zur Intensiv- bzw. Beobachtungsstation der Rehaklinik und nun am 8. Juni 2021 reichten ca. 80 m aus, um auf die Reha- & Therapiestation der Rehaklinik zu gelangen. Allerdings wird sie nun zum ersten Mal bewusst mit den damit einhergehenden Veränderungen konfrontiert, denn bei den ersten drei Umzügen war sie ja noch im Wachkoma bzw. sediert.

Während sie also am Montagabend quasi fast ohne unser ständiges Zureden bezüglich Kauen, Abbeißen, Schlucken und Abhusten ein Würstchen und eine Camembert-Ecke aß, habe ich mit Carsten alle Fotos von den Wänden genommen, ihren Schrank ausgeräumt und auch so alles aus Zimmer und Bad zusammengetragen, was sich dort so überall in den letzten Monaten verteilt hat.

Zum Glück konnten wir die Transportkörbe schon mal ins neue Zimmer bringen und brauchten somit nicht zum eigentlichen Umzug Dienstagvormittag mit anwesend sein. Stephanie jedenfalls mümmelte so vor sich hin und guckte uns beim Abbau zu. Das mit dem Essen klappt unserer Meinung schon supergut, nur beim Trinken brauchte sie leider noch unsere volle Hilfe. Während des Essens hat sie sogar mit Elfie gespielt und sich mit uns unterhalten – ihr erinnert euch: in der Regel kann sie sich immer nur auf eine Sache fest konzentrieren.

Von der bisherigen Stationsärztin bekamen wir diesbezüglich auch die tolle Neuigkeit, dass ihr aktueller Singer-Index (als PDF) nun bei 13 Punkten liegt und sie deutliche Verbesserungen beim Sprechen und sozialen Verhalten zeigt … am 16. Mai waren es noch 9 Punkte.

Vor allem das Sprechen rückt für uns derzeit gewaltig in den Vordergrund, denn nach dem Umzug – so haben wir es zumindest in dieser ersten Woche empfunden – konnten wir bislang nur sehr wenige unserer bisherigen Arme- und Händeübungen durchführen, da sie nun vornehmlich im Rollstuhl sitzt und ihr (noch) so etwas wie ein Tischchen oder eine Ablage fehlt. Also verlegen wir unsere Übungen derzeit mehr in die Durchführung vieler und langer Gespräche, das Stellen und Beantworten von Fragen und die Vorbereitung darauf, dass morgen ihre Schwester aus Österreich für ein paar Tage in den Hohen Norden kommt.

Natürlich auch zu ihr, denn darauf freut sie sich wirklich am meisten und Stephanie zählt schon fleißig die Tage bzw. wie oft sie noch schlafen muss … wir sind echt gespannt, wie deren Aufeinandertreffen ablaufen wird. Vielleicht bin dann sogar ich für diese Woche ganz abgemeldet?    😉

Aber zurück zu ihren ersten Stunden auf der neuen Station – sie wird wohl noch ein paar Tage brauchen, um sich von der bisherige Ruhe des Einzelzimmers sowie der zahlreichen Vor-Ort-Therapien an das jetzt vorherrschende, ständige Setzen in den Rollstuhl und die vielen Ausfahrten zu gewöhnen. Jetzt geht es stattdessen nämlich dreimal täglich in einen Essensraum, alle Therapien finden eine Etage tiefer statt und auch wir werden mit Sicherheit jede Gelegenheit nutzen, um mit ihr bei schönem Wetter in den Park oder auf den Balkon der Station zu gehen.

Als wir mit ihr am Dienstagabend im Park direkt neben einem Kinderspielplatz verweilten, war es ihr schon nach 10 min viel zu tumultig. Selbst ein Stückchen weiter weg war für sie noch viel zu viel Gewusel im Sichtfeld und auch die Stimmen vom Spielplatz waren zu hören – denn so konnte sie leider nicht den Vögelchen beim Zwitschern lauschen. Erst, als wir einen anderen grünen Innenhof angesteuert haben, fühlte sie sich wohl und wir konnten uns wieder gut mit ihr unterhalten, um z.B. auch Wörter und deren Aussprachen zu üben.

Gegen 17:30 schoben wir Stephanie in den Essensraum und das war natürlich etwas völlig Neues und Ungewohntes für sie. Denn in diesem Zimmer saßen mit ihr nun sechs andere Kinder und junge Erwachsenen, meist in Rollstühlen und zum Teil auf Stühlen an den 2er-Tischen, und warteten gemeinsam auf den Essenswagen, von dem man sich dann das Abendessen aussuchen konnte. Als Neuling wurde sie natürlich von allen angeguckt und sie wurde auch angesprochen, deshalb war sie sichtlich etwas überfordert mit der Gesamtsituation. Beim Essen mochte sie erneut den Tumult um sie herum nicht und vor allem, als jemand einen Teller hat fallen lassen, gab es für sie eigentlich nur noch einen Wunsch: zurück ins Bett!!! Wir bereuten in dieser Situation nicht, dass wir zumindest beim allerersten Mal in dieser Umgebung mit dabei sein konnten. Sie entschied sich dann bei der Essensauswahl für Weißbrot mit Butter und Kräuterschmelzkäse und wir haben das Schmieren und das Füttern übernommen. Somit hatte sie jedenfalls schon mal die Möglichkeit, dem Pflegepersonal zu zeigen, dass sie selbstständig mit den Fingern essen kann.

Zurück im Zimmer konnten wir dann die folgende Stunde dieses dekorieren, indem wir die Fotos und Bilder wieder an die Wand klebten, für die sie sich entschied. Ich zeigte ihr jedes einzelne, zusammen ging man die Namen der zu sehenden Personen und die Situationen durch und Stephanie entschied dann mit Ja, Nein und Vielleicht. Am Ende musste sie auch für die Bilder aus dem „Vielleicht“-Haufen eine definitive Entscheidung treffen. Ich finde, das hat sie echt gut gemeistert!

Da wir jetzt während unserer Besuchszeiten nicht mehr so viel in Kontakt mit dem Pflegeteam und vor allem mit den Therapeuten oder Ärzten kommen und Stephanie zudem noch nicht die Fähigkeit besitzt, einmal verständlich ihren Tagesablauf zusammenzufassen, bekommen wir seit der Umsiedlung leider nur noch sehr wenige Informationen mit. Auf der bisherigen Intensivstation war man ja zum Teil bei Therapien im Zimmer mit anwesend, hat sich beim Füttern durch die Logopädinnen nebenbei ausgetauscht oder auch auf dem Flur zufällig das ein oder andere Gespräch führen können. Solche Begegnungen sind jetzt sehr viel rarer geworden, zumal Stephanies Zimmer auf einem Seitenarm der Station liegt, von dem man nun direkt zum Ausgang gelangt. Wenn man sich also nicht gerade suchend durch die Stationsflure läuft oder das Pflegepersonal aktiv ins Zimmer kommt, werden uns diese Informationsgespräche sehr fehlen. Aktiv nachfragen will man ja nun auch nicht alle Nasen lang.

Wir werden sehen, auch wir müssen uns erst noch zurechtfinden. Aufgrund der Therapien außerhalb des Zimmers fallen schon mal unsere täglichen Vormittagsbesuche ganz raus. Zudem haben wir unsere anderen Besuche zuerst auf die Zeit nach dem Abendessen (ca. 18:30) verlegt, denn bis 16:00 hat sie in der Regel noch Therapien und wir eben unsere Arbeitszeiten. Damit fingen für uns aber alle Abende immer erst mit der Heimkehr gegen 21:00 an. Deshalb wollen wir es zukünftig mal mit einer anderen Variante versuchen: das Arbeitsende auf 15:30 festsetzen und die Besuche im Krankenhaus von ca. 16:00 bis zum Abendessen legen – damit hätten wir dann auch mal wieder die Abende ganz für uns und unsere Freizeit. Letzteres kam nämlich bislang etwas zu kurz, doch was tut man nicht alles fürs Kind.

Am Ende hat diese neue Zeiteinteilung eh nur bis zur nächsten Verlegung in eine Pflegeeinrichtung Bestand, denn diese wird dann voraussichtlich nicht mehr so schön in der Nähe liegen und statt 20 min Fahrt werden wir uns durchaus jeden Tag auf 40-50 min Fahrzeit in eine Richtung einstellen dürfen. Derzeit hat Stephanie durch die Krankenkasse eine Verlängerung bis zum Ende Juni erhalten … der Juli dürfte aber sicherlich auch noch möglich sein. Danach hängt es dann sehr stark davon ab, wie groß ihre Fortschritte sind und wie gut sich ihre Weiterentwicklung gestaltet. Aber wir sehen diesen bevorstehenden Wechsel in die Pflegeeinrichtung schon sehr viel gelassener als noch im Mai, wo sie eben so viele Dinge noch nicht gut beherrschte. Man wird sehen …

Am Mittwoch haben wir ihr noch halb erfolgreich das eigenständige Hochschieben der Brille mit der rechten Hand beibringen können. Halbwegs deshalb, weil sie mit der Faust manchmal noch den Mittelsteg ihrer Brille verpasst und das dann aber selbst nicht so einschätzen kann – sehen schon gar nicht. Aber wir üben, üben, üben    🙂

Am Freitag nutzten wir einmal Karten mit A bis Z und sie sollte zuerst den willkürlich gezogenen Buchstaben vorlesen (hierbei kein einziger Fehler!) und in der ersten Runde etwas benennen, was man essen oder trinken kann. In der zweiten Runde suchten wir dann nach Vornamen. Hier taten sich bei dem Kind wie erwartet gewaltige Lücken auf, denn in der Regel nannte sie nur das, was sie auch in den letzten Monaten kennengelernt bzw. verwendet hat, wie z.B. Himbeere, Erdbeere, Yoghurt sowie Namen von der Familie und aus dem Krankenhausteam. Andere Wörter, die sicherlich jeder von uns kennt (man erinnere sich nur an das Spiel Stadt-Land-Fluss), sind bestimmt noch sehr sehr tief in ihren Gehirnwindungen vergraben. Was ich daran so erstaunlich finde? Sie kennt englische Begriffe, versteht zum Teil Französisch, leider nur noch sehr wenig Russisch und stellt manchmal recht komplizierte Fragen, aber an die einfachsten Dinge, wie z.B. Anton, Dattel, Eis, Erbsen, Heinz, Klaus, Susi oder Zwiebel erinnert sie sich nicht oder kann sie in dem Augenblick jedenfalls nicht abrufen. Da bekommt für mich der deutsche Spruch „Einen Penny für deine Gedanken“ wieder eine ganz neue Bedeutung bzw. einen viel tieferen Sinn. Ach ja, keiner weiß so richtig, was genau da gerade in Stephanies Oberstübchen vor sich geht     🙁

Abends ist sie jetzt auch mal öfters mäkelig und schlapp, sie lässt den Kopf nach vorne hängen, spricht zunehmend undeutlicher und meckert dabei auch sehr viel über sich selbst. Am Wochenende habe ich nun den Grund dafür ausgemacht: im Bett konnte sie sich viel mehr ausruhen und vielleicht auch mal das ein oder andere Schläfchen machen, während sie nun durch den Rollstuhl-Bett-Mix sehr viel mehr aktiv gefordert ist – und dann sind da ja auch noch zusätzlich die täglichen Therapiegänge. Gestern und heute war ich schon um 13:00 bei ihr und alles war perfekt: sie war recht konzentriert, sie sprich sehr verständlich, sie macht viel mit und ist noch voller Elan. Aber nach ca. 2-3 Stunden folgt dann der sichtbare Einbruch, denn die Fehler beim Rechnen und Spielen sowie den Lücken in ihren Erinnerungen nehmen zu, sie spricht zunehmend undeutlicher und auch die Präzision ihrer Bewegungen lässt nach. Hier merkt man wieder deutlich, wie sehr ihr Kreislauf und auch die Kondition aller Muskelgruppen durch das monatelange Liegen und die Sedierung in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Aber wir kennen ja alle unsere Stephanie: sie lässt nicht locker und von Tag zu Tag wird sie sich auch selbst mehr und mehr aufpäppeln. Dafür drücken wir ihr jedenfalls alle die Daumen, gell?

Dieser Blog und eure Rückmeldungen geben ihr zusätzliche Kraft, denn sie ist über alles informiert und ich lese ihr seit Kurzem auch immer wieder mal meine Blogeinträge vor. Es gefällt ihr alles sehr!

Sie möchte inzwischen zudem immer mehr Zusammenhänge verstehen und fragt, warum sie hier im Krankenhaus ist oder wie lange sie da noch bleiben muss. Ich habe ihr die eigene Geschichte in kurzer Zusammenfassung schon einige Male erzählt – ist ein bisschen wie bei Dorie. Immerhin konnte sie ihr Wissen darüber heute schon bei dem A-bis-Z-Spiel einsetzen, bei dem wir uns geeinigt haben, einfach mal alle möglichen Vokabeln zu nennen, welche uns so in den Sinn kommen und eben mit dem gezogenen Buchstaben beginnen. Beim L kam von Stephanie unter anderem auch das Wort Lungenembolie über die Lippen. Aber zum Glück ist ihr Wortschatz noch nicht zu sehr mit Krankenhausvokabular „belastet“, denn da war auch noch genug Platz für Himmel, Wind, Qualle und Leben …



2021 30.
Mai

Ich lese zur Vorbereitung mal wieder den Beitrag von letztem Sonntag und mir entgleitet wie immer ab und an ein stilles „Wow“, denn erneut hat es sich in einigen Dingen so vieles getan und verbessert. Aber ich muss fairerweise auch über einen Rückschritt berichten – nichts, was uns oder das Kind weit zurückwirft, aber durchaus etwas ausbremst. Dabei hat sie es aber ganz allein in der Hand und ist für die Behebung zum Glück nicht auf andere angewiesen.

Es geht mal wieder ums Essen. In unseren Augen ein schon fast erreichter Meilenstein, aber die Logopädie guckt halt doch ein wenig genauer hin und äußert berechtigte Kritik. Am Donnerstag wurde bei ihr mit einem Test das Ess- und Schluckverhalten im nicht sichtbaren Bereich genauer unter die Lupe genommen. Für diese fiberendoskopische Schluckuntersuchung wird eine endoskopische Kamera durch die Nase bis in den Rachen geführt und man kann somit überprüfen, ob Stephanie richtig schluckt oder ob durch Fehlverhalten die Gefahr besteht, dass sie das Gekaute eventuell in die Luftröhre und somit in die Lunge bekommen könnte. Zugegeben, sowas kommt sicherlich auch immer wieder mal bei uns vor, aber wir können durch über die Jahre erlerntes Husten Schlimmeres verhindern – das ist bei ihr leider noch nicht so sicher und gefestigt. Sie hustet zwar, aber eben durchaus unzureichend und nicht stark genug.

Jedenfalls hat man bei dieser Untersuchung festgestellt, dass das Kind erfreulicherweise ausreichend kaut, diese Masse aber nicht immer sofort runterschluckt, sondern erst einmal nur etwas in den Halsbereich rutschen lässt, wo es sich gefährlich nah am Abzweig zwischen Atemweg und Speiseröhre ansammelt. Sollte sie statt Schlucken jetzt einmal tief einatmen müssen (z.B. durch Erschrecken), würde dieser Happen in die Luftröhre oder sogar bis in die Lungen gelangen. Das kann in ihrer derzeitigen Lage lebensgefährlich werden, vor allem, wenn das Gekaute auch noch trocken und krümmelig wäre, wie z.B. bei Keksen, Möhren oder getoastetem Weißbrot. Eigentlich würden die Ärzte wohl gerne wieder komplett zurück zur Breikost gehen, aber da hat unsere Stephanie was gegen. Was hier links zu sehen ist, weigert sie sich zu essen, sieht es wie auf der rechten Seite des Bildes aus, sagt es ihr weitaus mehr zu:

Und wir alle kennen doch ihren Dickkopf, oder?

Schon vor dem Schlucktest hat man morgens den gravierenden Fehler gemacht und sie in den von ihr so unbeliebten eRolli gesetzt, um zum Untersuchungszimmer zu fahren. Ich kam leider zu spät dazu und ihre Laune war schon im Keller, als ich eintraf. Ich vermutete deshalb eher nur ein mittelprächtiges Mitmachen ihrerseits und habe gegenüber Carsten auch sofort „Das war sicher nix !“ geäußert. Denn bei sowas ist sie eisern: wenn ihr etwas nicht passt, macht sie einfach nicht mehr 100%ig mit – egal wie wichtig der Test sein mag. So hat sie sich meiner Meinung nach auch mal vor 20 Jahren die vorzeitige Einschulung verspielt, weil sie eben die Aufgaben der Schulpsychologin als zu einfach empfand und doch lieber wieder schnell nach Hause wollte    😉

Die Logopädinnen versuchen jetzt erst einmal einen Zwischenweg, bei dem das Essen weiterhin unpüriert bleiben kann, aber mögliche Gefahrenquellen außen vor gelassen werden. D.h. sie testen weiterhin mit allem und der Rest verfüttert bitte nur Weichkost bzw. nichts Hartes oder Krümmeliges. Mal sehen, wie schnell Stephanie ihren Fehler wieder korrigieren kann, damit ihr erneut die gesamte Essenspalette zur Verfügung steht.

Wir übernehmen jetzt jedenfalls immer das Füttern des Abendessens, denn noch braucht sie mit ca. einer Stunde sehr lange für die feste Nahrung (Brot mit Leberwurst oder Frischkäse) und das derzeit durch einen hohen Krankenstand etwas unterbesetzte Pflegepersonal würde eigentlich viel lieber zur Breinahrung zurückkehren, denn die ist innerhalb von 30 Minuten verabreicht. Da wir ja aber in der Woche sowieso immer um die Zeit zwischen 18:00 bis 18:30 beim Kind ankommen, kümmern wir uns nun darum und lassen auch immer wieder mal neue Test und Trainings mit einfließen, um gleichzeitig Fortschritte auf anderen Gebieten erzielen zu können. Wie schon beschrieben, führt sie sich mittlerweile selbst „längliches“ Essen zum Mund, beißt ab und nimmt auch eigenhändig gesteuert erst nach, wenn der Mund wirklich leer ist.

Deshalb nun zur nächsten Steigerung, diese Dinge auch schon bewusst in die Hand aufzunehmen, um sie zu essen – am Donnerstagabend sind wir extra beide gemeinsam zu ihr gefahren und haben dieses Experiment vorbereitet:

Bei unserer Übung haben wir ihr ein Wiener, ein Stück Käse und eine Gurke auf dem Tablett vor ihr gelegt und sie sollte sich nun für eines der drei Dinge entscheiden, es vor sich lokalisieren, danach greifen, zum Mund führen und einmal abbeißen … es wieder zurückzulegen wäre noch zu schwer für sie. Das Prinzip hatte sie tatsächlich schon gleich beim ersten Versuch verstanden und sie hat das Gewünschte auch ganz allein in die rechte Hand nehmen können – glaubt mir, diese Arm- bzw. Handkoordination fällt ihr derzeit noch sehr sehr schwer. Und selbst wenn sie es erfolgreich greifen konnte, lag es eben nicht immer optimal in ihrer Hand und sie musste bis zum Mund entsprechende Korrekturen einhändig vornehmen. Natürlich gab es dabei anfangs auch Rückschläge und statt zur vorher gesagten Gurke, griff sie erst zum Käse („Nein!“), dann zum Würstchen („Auch nicht!“) und erst dann zur Gurke („Was vor dir ist grün?“). Oder sie hat etwas nicht erwischen können und hob dann die leere Hand zum Mund … da fehlen ihr noch das Feingefühl in den Fingern und der Blick auf die wesentliche Umgebung. Doch unsere Übungen führen mittlerweile immer mehr zu einer Routine und schon am gleichen Abend wurde sie zielsicherer, hat sich die Situation vor ihr vorher genau angeguckt, sich keinen Fehlgriff mehr erlaubt und (für ihre Verhältnisse) schon relativ fix zugegriffen sowie sogar manchmal das Essen in der Hand gedreht, um es schließlich in den Mund zu bekommen. Dabei hat sie sich allerdings auch einmal gehörig in den Finger gebissen    😉    beim Zubeißen kennt sie eben kein Zurückhalten mehr, denn auch hier fehlt das Feingefühl bzgl. Druck und Richtigkeit. Aber es wird zunehmend besser, wie auch beim Malen und Pinsel halten.

Beim Trinken sind wir ebenfalls etwas vorgeprescht und haben schon am gleichen Abend mal den Strohhalm gegen den Flaschenhals selbst getauscht. Als wir über das Trinken sprachen, beklagte sie sich, dass ER so groß war … „Wer?“ … „Der Strohhalm!!!“ … „Da war kein Strohhalm, du hast direkt aus der Flasche getrunken!“ … „Echt ?!?!?“ – ein weiteres Beispiel für ihre noch eingeschränkte Wahrnehmung und Einschätzung der Situation um sie herum. Doch unser Credo wird über kurz oder lang helfen: „Üben, üben, üben.“

Diesen Satz hat sie sogar selbst bei einer Augenarztuntersuchung geantwortet, als die Ärztin bei ihren Ausführungen das Fazit „Das muss sie noch üben.“ erwähnte.

Stephanie hatte nämlich am Mittwoch einen Termin bei einer lokalen Augenarztpraxis, da man zum einen die Stärke der Brille überprüfen wollte und sich zum anderen mal eine Messung des Gesichtsfeldes anbot. Es gibt Situationen, da bekommt Stephanie alles mit und wechselt mit den Augen sogar zwischen den Sprechern hin und her, aber dann passiert es eben auch mal, dass jemand rechts oder links oder weiter weg steht und sie blickt lange suchend durch den Raum, als könne sie diese Person nicht sehen bzw. finden.

Zu dieser Untersuchung ist diesmal Carsten mitgegangen und hat hier und da aushelfen können. Einen Sehtest an der Maschine konnte sie nicht absolvieren, da sie mit dem Rollstuhl nicht nah genug an das Loch zum Reingucken kam (Vorbeugen geht ja bei ihr derzeit noch nicht!). Obwohl ein Arzt sie zuerst mit brennenden Augentropfen malträtierte, machte sie bei seinem Test, dem tiefen Blick ins Auge, überraschend gut mit und blinzelte nicht so oft – puh, Schwein gehabt (s.o. bzgl. Laune und Kooperieren). Und zum Abschluss führte eine Ärztin noch mehrere Test durch, bei denen Carsten gewisse Dinge steuern konnte. So z.B. als Stephanie die etwas weiter entfernte Zahlenprojektion an die Wand nicht gefunden hat (erst als er daneben stand) oder als sie auf einer 3D-Karte zwar etwas erkannte, es aber erst nach Alternativfragen genauer benennen konnte (Elefant = OK, Stern = naja, Halbmond/Banane = falsch, Auto = falsch). Nur der eigentliche Gesichtsfeldtest war mit ihr nicht möglich, da Stephanie derzeit einfach noch keine Möglichkeit hat, um zweifelsfrei zu spezifizieren, ob sich die Finger der von der Ärztin hochgehaltenen Hände rechts oder links vom Auge bewegten. Normalerweise soll der Proband dafür seine eigene Hand heben und darauf zeigen … schade. Selbst das ausgesprochene Rechts oder Links ist bei Stephanie derzeit ja leider keine Garantie für die Richtigkeit. Also bleibt es insgesamt beim Fazit, dass sie mindestens 80% Sehfähigkeit auf jedem Auge hat (wenn nicht sogar 100%, da der Entfernungstest ja OK war), doch für die anderen Untersuchungen lässt sich schwer einschätzen, ob Stephanie falsch geantwortet hat, weil sie es falsch sieht (Auge) oder falsch wahrnimmt bzw. verarbeitet (Gehirn).

Egal, für uns hat dieser Ausflug zudem gezeigt, dass sie für das erste Mal bei einer solch kommunikativen Aufgabe außerhalb ihrer Wohlfühlzone namens Krankenhausbett den Test insgesamt sehr gut absolviert hat. Sie hat adäquat geantwortet, sie war stets höflich und hat sich immer bedankt und sogar im Wartebereich jeden verabschiedet oder gegrüßt, nachdem es die Rezeptionsdamen auch gemacht haben. Ist mal wieder eine neue Erfahrung für alle gewesen.

Mich hat sie diese Woche auch einmal völlig überraschen können, weil sie sich über meinen improvisierten Fotohalter so dermaßen kaputtgelacht hat:

War es mein Talent oder eher die Elfie, die fortan so keck über jedes Foto schielte?!?!

Ihr Gedächtnis scheint jedenfalls immer mehr zurück zu kommen, denn sie vervollständigt manchmal ganz überraschend Sätze, die sie in letzter Zeit bestimmt nicht täglich zu hören bekommen hat, z.B. diesen hier: ich sagte „Eine Kuh macht Muh … “ und sie vervollständigte spontan:“… viele Kühe machen Mühe“. Sie konnte mir gegenüber auch das Besteck identifizieren und eigenständig alle Dinge benennen, wobei sie derzeit selbst wohl eher nur Löffel und Messer zu sehen bekommt.

Zudem will sie immer wieder auch mal Mathe machen. Angefangen haben wir mit ein paar einfachen Aufgaben für Plus, Minus, Mal und Geteilt (bis auf das Teilen ist die Fehlerquote relativ ok), doch schon nach kurzer Zeit wollte sie immer mehr zum Lösen haben. Also hat Carsten auf dem iPad so einiges zusammengestellt. Am Dienstag versuchte sie sich an der Addition bis 10 und die ersten neun Aufgaben waren alle richtig – sie hat z.T. etwas länger überlegt. Bei der zehnten (2+1) beharrte sie auf 4 als Lösung … war sie schon nach so kurzer Zeit unkonzentriert? Am nächsten Tag das Gleiche: Aufgaben 1 bis 9 perfekt, bei der 10. Addition machte sie den gleichen Fehler: 2+1=4 … doch auf Nachfrage hat sie sich diesmal selbst schnell auf 3 korrigiert. Erst danach wurde sie zunehmend unkonzentrierter. Und jetzt am Wochenende wollte sie schon alle 54 Plus-Aufgaben durchrechnen und heute sogar schon alle 40 mit Minus. Ihr Schwierigkeiten liegen hauptsächlich bei der 3, der 5 und der 8, sowie manchmal mit dem Ergebnis 10 und höher. Eigentlich ärgert sie sich dann auch mehr über ihre Fehler, als wir, die sie korrigieren. Ist aber schön, dass sie dennoch weiter dran bleiben will und demnächst sicherlich schnell auch auf Multiplikation und Division übergehen wird.

Sowohl hier als auch bei allen anderen Dingen fällt allerdings auf, dass sie sich zur Zeit wirklich nur auf EINE Sache konzentrieren kann: Essen und was anderes machen geht nicht … Singen und etwas anderes machen geht nicht … Fernsehen und etwas anderes machen geht nicht … Greifen und etwas anderes machen geht nicht – genau deshalb fällt ihr vieles auch noch so schwer, auch wenn es vermeintlich einfache Dinge sind, deren Erledigung für uns ein Klacks ist.

Doch wenn sie sich mal mit etwas auseinandersetzen will, dann schafft sie es auch und ist immer wieder stolz, wenn sie es mir, Carsten oder dem Krankenhauspersonal vorführen kann. So hat Carsten mit ihr am Freitagmittag eine vorgeschlagene Übung der Augenärztin umgesetzt und mit ihr durchgeführt: vor ihr auf dem Nachttisch lagen drei Gegenstände (das Stofftier Elfie, ein kleiner Ball und das Stofftier Bilby) und sie sollte ein bestimmtes davon aussuchen, benennen, greifen und an den links Sitzenden in die Hand übergeben – also eine ganz neue Armbewegung plus Loslassen zum richtigen Zeitpunkt. Es hat bei ihm – natürlich mit den entsprechenden Anlaufschwierigkeiten – zuerst mit drei Dingen und später dann auch mit fünf Gegenständen (s.o. plus Rassel und Handschuh) geklappt. Abends hat sie mir dann freudestrahlend gezeigt, was sie mit Carsten am Mittag geübt hat und gab mir nacheinander Elfie, den Ball und das Bilby vom Tisch direkt in meine Hand. Auch hier wollte ich wieder einmal das Zurückgeben und -legen ausprobieren, aber da hakt es noch mit der Koordination, die Hand von unten zurück über den Tisch zu bringen. Ich schätze mal (vorsichtig), dass sie ihre rechte Hand in vier Wochen wieder vollumfänglich einsetzen kann … auf der linken Seite macht ihr allerdings noch die Spastik sehr zu schaffen. Hier wird es wohl noch sehr viel länger dauern.

Womit sie mich immer wieder verblüfft, ist ihr Wortschatz bei unseren Unterhaltungen und auch, dass ihre Sätze von Tag zu Tag komplexer werden. Sie stellt ganz viele Fragen, wie z.B. „Wie groß bist du?“ oder „Wie lange bist du verheiratet?“ Heute hat sie mich aber gefragt: „Wie alt warst du als du schwanger warst?“ … da war ich baff, denn woher hat sie dieses Thema? Ihre Aussprache ist allerdings noch etwas undeutlich, so dass ich sie bei langen Sätzen immer darum bitte muss, diese Wort für Wort vorzutragen, was sie auch mit viel Geduld macht    🙂
Sie hat mich beim heutigen Verabschieden auch sehr mit diesem Spruch gerührt: „Ich will nicht, dass du gehst“ – da hat unser Abschied eben doch noch ein bisschen länger gedauert als ursprünglich gedacht. Aber nach 4 Stunden Besuchszeit wollte ich dann irgendwann nach Hause    😉

Ich finde es auch sehr faszinierend, dass mir ein paar der Stationskollegen berichten, dass sie immer gern zu Stephanie reingehen, wenn sie keinen besonders guten Tag haben, denn nach paar Minuten bei unserem Kind sieht die Welt für sie auch wieder viel besser aus. Sie war eben schon immer jemand, mit dem man sich gern unterhalten hat und die die Menschen um sich herum wieder aufbauen konnte. So wie es ausschaut, hat sie sich diesen Wesenszug jedenfalls bewahrt    🙂



2021 23.
Mai

Ich habe ja schon letzte Woche mal anklingen lassen, wie ich an das Verfassen eines Blogeintrages so rangehe. Zu dem dabei Erwähnten lässt sich allerdings auch noch hinzufügen, dass ich den Eintrag des vorherigen Sonntags durchlese, um mir so in Erinnerung zu rufen, was sich zwischenzeitlich schon wieder geändert hat. Ob man es glaubt oder nicht, aber beim diesmaligen Durchlesen kam ich aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus, denn es hat sich ja so unglaublich viel getan:

Diese Woche scheint Stephanie zum Beispiel immer mehr ihre Hände zu entdecken.“ … sie nutzt sie mittlerweile recht aktiv, z.B. zum Riechen und teilweise auch zum Essen!

Auch mit dem Essen geht es beim Kind peu a peu weiter.“ … wir sind fast schon am Ziel aller Erwartungen angelangt!

die Pflege darf noch nur Breikost geben“ … jeder darf nun füttern und vor allem alles kann gegeben werden, was man ihr zutraut!

Aber die für uns vielleicht herausragendste Nachricht dieser Woche war, dass sich die Besuchsmöglichkeiten im Krankenhaus geändert haben. Man ist nun von der Einschränkung „1 Person pro Tag für maximal 3 Stunden“ abgewichen und erlaubt jetzt jeglichen Besuch, auch zu mehreren und vor allem ohne Zeitlimit. Dabei ist aber diese Voraussetzung neu: jeder Besucher muss einen negativen Corona-Test vorzeigen, der nicht älter als 24 Stunden sein darf … oder man ist vollständig durchgeimpft. Da wir uns von letzterem noch sehr weit entfernt befinden (selbst mit meiner Prio 2 finde ich leider keinen Impftermin beim Hausarzt oder einem Impfzentrum in Schleswig-Holstein), müssen wir uns derzeit jeden Tag zum Testzentrum auf dem Wentorfer Marktplatz begeben … zum Glück im wahrsten Sinne des Wortes nur einen Steinwurf von unserer Wohnung entfernt, wie das heutige Handyfoto von unserem Balkon aus eindeutig zeigt:

Doch bevor sich nun eine Karawane von Bloglesern auf die Reise in den Norden begibt, möchte ich euch darum bitten, jegliche Besuchspläne im Vorfeld mit uns abzusprechen und vielleicht sogar noch ein paar Wochen zu warten. Zum einen, damit zuerst die Familie ihre Möglichkeit bekommt, zum anderen aber auch, damit wir Stephanie noch etwas besser auf eure Besuche vorbereiten können. Das genaue Ziel ist sogar schon vor ein paar Tagen mit ihr vereinbart worden: ihre Artikulation muss dafür deutlich verständlicher werden, damit am Ende eben auch beide Seiten ihren Spaß an dem Wiedersehen haben. Wir drei arbeiten bereits mit Hochdruck daran und wie bei allen anderen Vorhaben gilt auch hier die Devise „üben, üben, üben“. Wir werden euch informieren, wenn die Möglichkeiten für einen Besuch am besten sind, ok? Vielen lieben Dank für euer Verständnis.

Bezüglich Essen machen wir noch einmal einen kleinen Sprung in die Vergangenheit: am 18. April schrieb ich noch von dieser Nachricht der Logopädinnen:

Hallo Frau Sander, Stephie hat heute 9 kleine Löffelspitzen gegessen (4x Smoothie, 5x Monte) !!!“

Und jetzt, nur etwas mehr als einen Monat später, kaut sie mit geschlossenem Mund Gurken- und Tomatenstücke, darf auch schon vom Pflegepersonal mit Weiß- sowie Graubrot gefüttert werden und kann sehr wahrscheinlich ab nächster Woche ihre Vollkost bzw. das von ihr ausgesuchte Mittagessen im unpürierten Zustand bekommen. Die Logopädinnen sind total zufrieden mit ihrem (Ab-)Beißen, Kauen, Schlucken sowie das eventuelle Abhusten und bemängeln eigentlich nur noch, dass Stephanie vorrangig die rechte Seite zum Kauen nutzt. Doch auch das lässt sich nicht immer nur als Manko auslegen, sondern kann mitunter auch recht positiv sein, denn damit zeigt sich, dass Stephanie mehr und mehr Kontrolle über die Zunge zurückbekommt, denn die schiebt schließlich erst alles von der linken Mundseite in die rechte. Und es ist zudem schön zu wissen, dass das Kind schon solche Entscheidungen für ihren Mundraum aktiv treffen und beeinflussen kann. Was ebenfalls gelobt wird ist, dass Stephanie erst nach dem nächsten Bissen verlangt, wenn der Mundraum leer ist.

Aus dem Grund durfte ich schon am Donnerstag mal das Füttern des Abendessens übernehmen und ließ Stephanie nicht nur vom Brot abbeißen, sondern trainierte mit ihr auch, dass sie sich das Essen mit der rechten Hand selbst in den Mund führt – dies klappte aber leider nur semi-gut und die Schnitte schmierte ihre Bäckchen mal mit Leberwurst und mal mit Marmelade ein. Dann am Freitag gab eine Logopädin im Beisein von Carsten als Zwischensnack Gurkenscheiben und Viertel einer kleineren Tomate …

… das Ergebnis wurde oben schon erwähnt. Für Samstag wurde daraufhin eine weitere McDonalds-Lieferung abgesprochen und Stephanie hat im Laufe des gesamten Besuchszeitraums von 4,5 Stunden eine halbe Tüte „Pommes, klein“, 8 Chicken Nuggets, einen halben Vanille-Shake und einen halben Rainbow-Donut …

… plus mehrere frische Erdbeeren verdrückt. Der Höhepunkt war allerdings, dass Carsten und ich (wir konnten aufgrund der Lockerungen am Samstag zum ersten Mal nach sehr langer Zeit im Doppelpack bei ihr im Zimmer sein) sie am Nachmittag soweit trainieren konnten, dass sie mehrmals eine in die Hand gegebene Pommes eigenhändig zum Mund geführt und abgebissen hat. Die ersten drei Male noch mit konkreten Anweisungen („weiter rein … mehr rechts … weiter rein“), doch danach schon völlig im Alleingang. Dabei waren ihre größten Herausforderungen sicherlich das Führen der Hand bis zum Mund (noch mit einem leichten Zittern und sehr viel Anstrengung) sowie die Einschätzung, wann sich nun genug der Pommes im Mundraum befindet und abgebissen werden kann – sie guckt eben nicht immer hin und wirkt zum Teil orientierungslos im Raum. Aber wenn diese Fortschritte in dem Tempo weiter gehen, wird sie auch das in ein paar Tagen aus dem Effeff beherrschen, da sind wir uns sehr sicher!!!

Und wenn es mit dem Essen klappt bzw. sie dadurch ihre Zunge immer mehr unter Kontrolle bringen kann, dann schafft sie als nächstes auch das Sprechen … oder sagen wir mal lieber das verständliche Sprechen. Aus ihrer Sicht scheinen ihre Sätze nämlich so, als würden sie korrekt und deutlich ausgesprochen werden, aber die Zunge und der Mund schaffen mitunter nicht den schnellen Wechsel zwischen den Lauten.
Hier mal ein Beispiel: sie sollte Tomate sagen, aber heraus kam nur „Brumane“. Also zerlegte es Carsten in die einzelnen Silben und ließ sie diese immer wieder sagen … TO, MA und TE. Alle drei Silben schaffte sie schon nach nur 5-6 Versuchen (vor allem mit dem TO tat sie sich etwas schwer), aber als zusammenhängendes Wort brachte sie sie einfach nicht heraus. Auch selbst dann nicht, wenn sie nur die Silbenzerlegung etwas zügiger hintereinander aussprechen sollte. Aus dem deutlichen TO-MA-TE wurde diesmal ein „Bromale“. Bei Versuch Nr. 20 war sie dem Verzweifeln nah, hat es dann aber doch endlich geschafft! Leider hält ein solches Wissen ohne ständige Übung nicht so lange an und so ist mittlerweile aus dem TO-MA-TE auch wieder ein BLO-MA-FE geworden … dies mal zur Verdeutlichung, wie sehr wir noch mit der Aussprache üben müssen und vor allem, wie schwer das für sie ist.

Kurze Ausdrücke klappen zum Teil schon perfekt („Egal!“, „Echt?“, „Wie viele?“, „Wie geht’s?“, „Stopp!“, „Ein bisschen“ sowie Namen), aber ganz Sätze sind in der Regel aus ihrem Mund recht unverständlich und selbst nach x-maliger Wiederholung kann man es oft nicht einmal interpretieren. Dafür ist ihre Zunge eben einfach noch nicht locker genug. Selbst wenn sie die Zunge mal rausstrecken soll, was ja schon ein kleines Kind definitiv bestens beherrscht, gelingt es ihr derzeit leider immer nur rudimentär und auch nur für ganz kurze Zeit. Und genau auf diese Baustelle namens „Sprechen“ wollen Carsten und ich uns nun als nächstes stürzen, nachdem des Thema Essen endlich durch ist und nur noch am Feintuning geschraubt werden muss.

Jep, die Schwester via Video und wir fordern sie immer wieder an allen Ecken und Enden während unserer täglichen Doppelschichten (mittags und abends für ca. 1 Stunde, am MO, MI & FR Carsten, am DI & DO ich und den Wochenenden für 3-4 Stunden ich), denn bis jetzt hat es sich mehr als ausgezahlt:

  • bei den Zahlen bzw. mathematischen Aufgaben ist sie noch nicht ganz so weit wie mit den Buchstaben (A-Z kann sie lesen und das ABC aufsagen) … die Addition mit einziffrigen Zahlen geht recht gut, bei Minus, Mal und Geteilt ist die Fehlerquote noch zu hoch
  • ein Zusammenzählen von Würfelaugen klappt auch noch nicht so ganz … die Augen eines Würfel zu erkennen ist noch OK, aber schon mit zweien ist sie noch überfordert
  • beim englisch-russischen Buch hat sie mittlerweile auch schon russische Worte mitgelesen, doch in beiden Sprachen versteht sie nicht alles was sie da liest
  • das Malen mit mir bleibt noch sehr rudimentär (Farbflächen ja, klar zu erkennende Objekte nein), da eben größtenteils die Feinmotorik noch fehlt, aber immerhin hält sie auch schon selbstständig den Pinsel oder einen Stift richtig in der rechten Hand
  • Seifenblasen pustet sie mittlerweile selbst, ich muss lediglich das „Werkzeug“ halten
  • in einem Bilderbuch kann sie einzeln dargestellte Objekte erkennen, Farben sowie Einzelheiten wiedergeben und auch die Texte darunter lesen, aber wenn diese Gegenstände auf einer Seite als eine Art Wimmelbild dargestellt werden und alles zusammen auftaucht, ist sie schlichtweg überfordert … sie sucht zwar, kann dann aber leider nichts benennen

Wir geben nicht auf, sie gibt nicht auf – Schrittchen für Schrittchen!!!

Am Samstag haben Carsten und ich uns einmal einweisen lassen, wie man Stephanie vom Bett in den Rollstuhl bekommt und wieder zurück ins Bett legt. Alles völlig einfach, wenn der zu Transportierende seinen Körper selbstständig bewegen könnte und nicht als nasser, 90 kg schwerer „Sack“ ohne helfende Muskelkontrolle vor einem liegen würde. Denn dann geht es nur mit mindestens zwei Personen plus Hilfsmittel und gefühlt unendlich vielen Schritten: Anlegen der Beinorthesen (kein Muss, aber hilfreich), Stephanies Körper im Bett mittels Tricks aus der stabilen Seitenlage auf die eine Seite rollen, das Liftertuch (eine Art Sitzhängematte) halbseitig positionieren, auf die andere Seite rollen, das Liftertuch ausrichten, den Lifter am Bett ansetzen, das Liftertuch einhaken und auf mögliche Verletzungsgefahren (Einquetschen) achten, Stephanie aus dem Bett heben, sie mit dem Lifter zum Rollstuhl gondeln, alles zum Rollstuhl ausrichten (z.B. Kind im Sitzen drehen), sie langsam in den Rollstuhl „einschweben“ und zum Abschluss möglichst bequem ausrichten sowie Gefahrenquellen auspolstern (sie kann Druck- oder Scheuerstellen ja noch nicht selbst durch Körperverlagerung ausgleichen).

Sowas dauert mitunter gleich mal 15 min und am Ende muss dies auch alles wieder rückwärts durchgeführt werden, um sie ins Bett zurückzulegen. Vor allem das bequeme Positionieren, um Druckstellen, Einklemmen, Scheuern und Hautreizungen zu vermeiden, verlangt ein sehr gewissenhaftes Kontrollieren aller Möglichkeiten. Wie gesagt, Stephanie kann sich ja eben noch nicht wie wir in eine bequemere Position bringen oder sich herumwälzen. Wir werden diese gesamte Lifter-Prozedur zwar noch ein paar Male mit dem Kind üben müssen, aber Carsten und ich sind uns sicher, dass wir das mit der Zeit ganz gut hinbekommen werden. Stephanie freut sich jedenfalls über jede Ausfahrt im Rolli.

Aber nicht mit dem neuen eRolli! Denn den mag sie überhaupt nicht. Zum einen weil er sehr viel eingeengter und somit sicherlich unbequemer ist, zum anderen, weil ihr noch der allgemeine Überblick bzgl. der Umgebung fehlt und sie damit zum Teil sehr überfordert wirkt. So guckt sie z.B. nicht mal nach vorne, wenn sie in diese Richtung losfährt. Derzeit hat sie jedenfalls Null-Bock aufs Fahren und will eigentlich immer wieder nur zurück ins Bett – das kennen wir von nicht-elektrischen Rollstuhl gar nicht. Aber auch da muss sie durch und wir versuchen ihr immer wieder mit gutem Zureden jegliche Ängste zu nehmen. Es bleibt beim Credo: üben, üben, üben!!!

Welche Vorteile das bringt, hat Carsten am Freitag selbst miterleben dürfen. Stephanie hatte abends ihr Training mit dem Stehbrett und wie bei meinen Besuchen wurde sie auch hier wieder auf ca. 80 Grad in die Senkrechte gestellt. Allerdings hat ihr Körper jetzt schon keine großen Veränderungen mehr gezeigt – weder bei der Sauerstoffsättigung, noch beim Kreislauf, nicht mal ein Schweißausbruch, wie ich es noch immer mitbekommen habe. Die Physiotherapeutin und Carsten konnten in dieser Stellung und für insgesamt ca. 20 min diverse Übungen mit ihr machen, insbesondere mit den Armen und dem Kopf. Es hat ihr sogar sichtbaren Spaß gemacht – ein weiterer Beweis für den Erfolg des obigen Credos.

Und genau diese positiven Entwicklungen haben wir mittlerweile von mehreren Personen wie folgt kommentiert bekommen:

  • Carsten und ich haben mit unseren täglichen Besuchen und Interaktionen sowie unserem Ideenreichtum beim Ausdenken von Übungen und der Beharrlichkeit und Motivation, diese mit ihr auch umzusetzen, einen sehr großen Anteil daran und konnten Stephanie damit ungemein nach vorn treiben. Aber ganz ehrlich, das gleiche Lob möchten wir auch an die unzähligen Mitarbeiter der Klinik zurückgeben, die mit ihrem Einsatz ebenfalls in großem Maße dazu beigetragen haben. Auch deren Interaktionen und Übungen treiben das Kind eben immer wieder an und wecken ihren starken Willen, den wir alle von ihr kennen.
  • Auf die Frage, was aus der Erfahrung heraus bei unserem Kind derzeit so ist wie es ist (es ging um ihre scheinbare Orientierungslosigkeit), kam ein wenig die Aussage, dass man eigentlich auf dieser Station keine Erfahrung mit solchen Patienten wie Stephanie hat, denn so weit wie sie heute ist, ist aus ihrem anfänglichen Stadium wohl bislang noch niemand gekommen. Wow, dass ist ungemein aufbauend für uns und sicherlich auch für unsere Stephanie!
  • Als sie im Oktober 2020 in diese Rehaklinik eingeliefert wurde, hätte man bei ihrem damaligen Zustand sogar gar nicht einmal daran gedacht, dass sie überhaupt so schnell den jetzigen Stand erreichen würde. Sie schafft es eben immer wieder, andere zu verblüffen – jep, definitiv unsere Stephanie!

Solche Worte machen uns fast schon sprachlos, denn im August letzten Jahres waren wir, geschult durch Funk und Fernsehen, immer davon ausgegangen, dass auch ein Komapatient wie Stephanie irgendwann mal zuckt, aufwacht und wieder ein relativ normales leben führen kann. Ich habe es ja schon öfters erwähnt, dass wir alle erst das lange Warten und die Geduld lernen mussten, mit der man an eine solche Sache rangeht. Damals war das Credo eben noch „warten, warten, warten“     😉

Aber ich habe in einem Buch zu dem ganzen Thema „Neuroplastizität des Gehirns“ auch einmal gelesen, dass die Intelligenz ebenfalls ein großer Faktor bei der Gehirnregenerierung spielt … hierdurch hat Stephanie gewiss einen weiteren Vorteil, oder nicht?

Bitte drückt auch weiterhin die Daumen, dass Stephanies Weg zur Genesung noch ein paar Wochen mit solch erfolgreichen Fortschritten geebnet werden kann. Vielen lieben Dank an euch alle … von mir, der Familie und sicherlich auch von Stephanie!



2021 16.
Mai

Jeden Sonntag sitze ich am Rechner und lasse im Kopf die vergangene Woche Revue passieren … meist ziehe ich dabei das Fazit, dass es ja eigentlich nicht so viel zu berichten gibt, aber kleinere Erfolge sind doch immer dabei. Dann nehme ich den Inhalt unseres familieninternen Tagebuches und kopiere die Infos auf eine leere Blogseite, um sie zu sichten, nach Themen zusammenzufassen und schon die erste Sätze im Kopf zu formulieren. Und genau dann wird mir immer erst bewusst, was in den letzten sieben Tage doch so alles passiert ist und dass der Text sicherlich wieder etwas länger als erwartet werden könnte. Selbst wenn die Themengebiete in letzter Zeit immer wieder die gleichen sind (Essen, Beschäftigen, Lernen und Sprechen), jedes Mal gibt es dann doch noch von einigen Neuigkeiten zu berichten.

Diese Woche scheint Stephanie zum Beispiel immer mehr ihre Hände zu entdecken. Sie hält sie im Blickfeld und beobachtet äußerst aufmerksam ihre Hand- und Fingerbewegungen. Sie hat auch heimlich geübt und kann jetzt schon mit der rechten Hand das von mir gezeigte Fingerspiel „Berühre mit dem Daumen nacheinander alle deine Finger – von vorne nach hinten und zurück“ in recht schneller Abfolge. Zudem legt sie auch mal freiwillig die Hände aneinander bzw. manchmal sogar ineinander und sie kann jetzt endlich beide Hände bis ins Gesicht führen, um dort zum Teil schon kleinere Aufgaben auszuführen, wie z.B. die Brille hochschieben, sich selbst einen Handkuss geben, am Handrücken riechen und mit viel Willen auch schon einen Löffel zum Mund führen. Natürlich ist der Bewegungsablauf derzeit sehr holprig, sie muss sich sehr stark darauf konzentrieren und es ist zum Teil sehr anstrengend für sie, denn sie zittert mitunter dabei. Doch noch vor zwei Wochen hat ihre Armmotorik dafür nicht einmal ausgereicht oder sie wollte es einfach nicht. Egal wie man es ihr gezeigt hat … was jetzt von heute auf morgen möglich geworden ist, war vorletzte Woche jedenfalls noch nicht umsetzbar.

Da zeigt sich mal wieder, wie geduldig man mit dem Üben sein muss und wie wichtig auch das noch so kleinste Training ist. Wir haben ihr bei unseren Besuchen nämlich immer wieder mal etwas zum Greifen (Ball, Stofftier) und Festhalten (Buch, iPad) gegeben, sie mit Rasseln zur Musik mitmachen lassen, …

… eine Art Armdrücken mit ihr gespielt und ihre Hände jedenfalls nie so richtig in Ruhe gelassen. Jetzt hält sie mittlerweile beim Malen den Pinsel schon richtig in der Hand und führt diesen sogar eigenständig über ein Blatt Papier – ok ok, es ist mehr ein Auf und Ab wie beim Streichen einer Wand, aber manchmal kommt auch schon ein etwas gezielterer Strich oder eine Welle. In ein paar Wochen macht sie sicherlich schon Bob Ross Konkurrenz    😉

Kennt den Fernsehlehrer aus den 80ern mit seiner unverkennbaren Frisur überhaupt noch jemand ? Seine Malkurse „The Joy of Painting“ habe ich damals geliebt, auch wenn ich damit mein tief schlummerndes Talent für Malen- und Zeichnen leider nicht aufwecken konnte …

Auch mit dem Essen geht es beim Kind peu a peu weiter. Am Dienstag gab es wie abgesprochen eine kleine Lieferung von McDonalds, über die sie sich richtig dolle gefreut hat. Am Ende fanden leider nur ein paar Pommes und ein und ein halbes Nugget den Weg in ihren Magen, aber das Kauen von diesen Produkten war doch auch für uns noch nie einfach, oder?     😉

Und kalt schmeckt es ja auch nicht mehr. Anders natürlich bei Carstens Vanilleshake, wo sie durch den Strohalm noch nix raus bekommen hat, aber die angebotenen drei bis vier Löffel hat sie mit Wonne weggeschlabbert.

An den übrigen Tagen verputzt sie mit den Logopädinnen (die Pflege darf noch nur Breikost geben) schon recht erfolgreich eine ganze Scheibe ungetoastetes Weißbrot mit Rand (!) und Belag (Nutella, Marmelade, Leberwurst oder Frischkäse) – und die Stücke sind auch nicht mehr so klein zurecht geschnitten. Aber das (Ab-)Beißen fehlt noch gänzlich bei ihr, aber dafür waren ja u.a. auch die Pommes gedacht. Carsten hatte zudem schon zweimal die Ehre und durfte sie füttern … man hat sie gefragt und sie hat ganz laut „Jaaaa“ gesagt. Beim ersten Mal war es nur ein Becher Himbeerjoghurt, aber am Freitag gab er ihr schon das von ihr bestellte und pürierte Mittagessen: Kaiserschmarrn mit Vanillesoße.

Er war es auch, der sie letztendlich dazu gebracht hat, dass sie vom durch uns mitgebrachten Tee trinkt und seit Freitagabend kann sie dabei einer ihrer damaligen Leidenschaften frönen, denn wir haben für sie das so geliebte Apfeltee-Granulat gekauft. Jeden Abend bekommt sie nun etwas davon – angefangen haben wir mit ca. 25 ml, heute dürften es schon so an die 100 ml gewesen sein. Die Freude ist natürlich wieder einmal groß bei uns, denn trinken wollte sie bislang so oft nichts – man musst sie anbetteln oder es befehlen. Dazu muss man aber auch wissen, dass sie den nötigen Flüssigbedarf größtenteils über die Magensonde bzw. das PEG bekommt.

Ach so, beim Kaiserschmarrn sei noch erwähnt, dass dieser anfangs noch etwas heiß war und Carsten ihr schon beim Füttern recht schnell das Pusten beibringen konnte. Anfangs hat sie die Luft noch eingezogen, aber nach 2-3 Versuchen klappte es nach seiner Aufforderung völlig ausreichend, um den Löffel etwas abkühlen zu lassen. Zu Beginn ist eben doch immer wieder wie bei einem Baby, nur bei unserer 25-Jährigen geht es dann sehr viel schneller und sie bringt gewisse Vorkenntnisse mit    😉

Diese ganzen Fortschritte spiegeln sich endlich auch ausreichend in der Beurteilung anhand des Singer-Index (als PDF) wider, bei dem Stephanie mittlerweile schon 9 Punkte erreicht – im Vergleich zum vorletzten Blogeintrag somit wieder einen Punkt mehr erreicht: Essen/Trinken = 2 Punkte, Hörverstehen = 2 Punkte, Sprechen = 1 Punkt, Lesen/Verstehen = 1 Punkt, Gedächtnis/Orientierung = 1 Punkt, Konzentrative Belastbarkeit = 1 Punkt, Soziales Verhalten = 1 Punkt.

Mit diesen Erkenntnissen ist nun erneut ein Verlängerungsantrag, diesmal bis zum 1. August, gestellt worden – drückt Stephanie bitte die Daumen, dass auch dieser von der Krankenkasse genehmigt wird. Übrigens nähern wir uns damit schon immer mehr einem vollen Jahr, denn ihren Vorfall hatte sie am 26. August 2020 und den allerersten Blogeintrag für Stephanie gab es nach langer und reiflicher Überlegung am 19. September. Ich habe mal ganz am Ende dieses Artikels eine kleine Inhaltsangabe mit allen Einträgen und den herausragendsten Eckdaten zusammengetragen … mir war so danach.

Vorher möchte ich aber noch kurz diese Themen ansprechen:

1.) Am Dienstag entdeckte Carsten im Vorraum zu Stephanies Krankenzimmer einen Elektrorollstuhl und erfuhr auf Nachfrage, dass man schon morgen mit ihr einen ersten Ausritt damit wagen möchte.

Das Personal war so lieb und hat wohl extra auf meine Besuchszeit am Abend gewartet. Mit dem Patientenlifter (evtl. Klick auf die Bildersuche) wurde sie in das Gefährt gehoben, man erklärte und zeigte ihr die Joystiksteuerung und schon ging es raus auf den Flur. Natürlich hat eine Person immer einen wachsamen Finger auf dem externen Not-Aus (auf dem Foto der rote Knopf am Kabel oben links) gehabt    😉    doch Stephanie fuchste sich relativ schnell in alles rein. Auf dem Gang ist sie zuerst ganz alleine geradeaus fahren, dann hat sie sich dreimal um die eigene Achse gedreht und am Ende ging es noch über die Lobby raus ins Freie.

Dort hat ihr der leichte Nieselregen allerdings so gar nicht gefallen und sie wollte sofort wieder zurück in ihr Bett – unsere Schönwetterausflüglerin!!! Dafür, dass es beim ersten Mal aber doch etwas anstrengend für sie war, hat sie sich gut geschlagen und weitere Ausflüge sind sogar schon in Planung. Leider kann ich sicherlich nicht bei allen mit dabei sein … ich hätte so gerne ihre fahrerische Lernkurve gesehen.

2.) Am Donnerstag, dem Feiertag, hatte ich für meinen Besuch wieder drei Stunden zur Verfügung sowie eine günstige Gelegenheit mit Sitzbett und Nachtschränkchen. So haben wir auf ihren Wunsch hin dann die meiste Zeit gemalt. Das macht ihr derzeit ja soooo viel Spaß und immer wenn ich gefragt habe, ob wir aufhören oder etwas anderes machen sollen, hat sie laut „Nööö!“ gerufen. Bei den Wasserfarben habe ich von Anfang an auf die korrekte Haltung des Pinsels gepocht, aber den Rest darf sie schon selbst bestimmen. Wenn es um die Farben geht, entscheidet sie sich glücklicherweise immer für eine hellere Variante und Schwarz passt derzeit wohl so gar nicht in ihr Gedankenschema. Puh, es sind also keine Depressionen oder eine große Niedergeschlagenheit in Sicht. Und bei der im Hintergrund immer mitlaufenden Musik (unsere jahrelang erstellten Familien-CDs mit Namen „OLCA-Compilations“) wurde auch sehr oft mitgesungen – von beiden.

3.) Gestern rauschte über uns im Norden innerhalb von 20 Minuten ein tierisches Gewitter hinweg, mit Blitzen und richtig lautem Donner quasi im Minutentakt, aber Stephanie fand es toll und hat keinerlei Angst gezeigt … eine Meteorologin eben. Leider konnten wir durch das Fenster und aufgrund des Waldes um das Krankenhaus herum nicht sehr viel davon sehen – aber hören! Hier mal ein Beispiel von Carsten aus Wentorf:

[3x Blitz und Donner in weniger als 1 min 30 s …]

4.) Ich habe nun mit ihr angefangen, in einem russisch-englischen Bilderbuch aus Andreas Kinderzeit zu blättern und sie ist auch ganz gut bei der Sache …

… allerdings liest bzw. murmelt sie leider nur die englischen und nicht die russischen Wörter. Da ich nicht glaube, dass sie das kyrillische Alphabet komplett vergessen hat, glaube ich eher mal wieder an ihre kleine Faulheit … na warte, ich krieg dich schon wieder dazu    😉
Heute sagte sie allerdings zu mir, dass sie wenigstens „ein bisschen“ [O-Ton] in Russisch lesen kann. Ich werde es auf jeden Fall immer wieder als Angebot bereit halten. Ja, sie versucht tatsächlich alles selber zu lesen, aber bei längeren Passagen oder den handgeschriebenen Wörtern kommt ihr ein aufforderndes „Lesen!“ über die Lippen und dann darf ich ihr das Ganze eben vorlesen. Ich habe ihr allerdings schon mal nahe gelegt, etwas freundlicher zu sein und ein „bitte“ mit dazu zu sagen – das werden wir ab sofort fleißig üben.
Andererseits ist die Unterhaltung zwischen uns beiden insgesamt schon etwas komplexer und abwechslungsreicher geworden und Stephanie beherrscht inzwischen solche Floskeln wie „Echt?“, „Warum?“, „Egaaal!“, „Blöd, blöd, blöd!“, „Ka-ta-stro-phe“ und das schon erwähnte „ein bisschen“. Aber auch „weiter“ im Sinne von „nächstes Foto oder nächste Seite“ kann ich mittlerweile ganz gut identifizieren.

5.) Stephanie scheint immer mehr ihre weibliche Seite zu entdecken – das wäre sogar ein Faktor im Singer-/Barthel-Index. Damit zwei Therapeutinnen ihre Fingernägel lackieren konnten, hat sie sogar ihre linke Hand recht bereitwillig und mit viel Mühe und Kraft ausgestreckt und gewartet bis der Nagellack getrocknet ist. Das ist in sofern besonders, da diese Hand in der Regel immer zu einer Faust zusammengerollt ist. Und auch ein Handspiegel, den Carsten extra für sie besorgt hat, wird gern dazu genutzt, das Gesicht zu überprüfen. Noch hält sie diesen nicht wirklich passend in der Hand und dreht ihn, sodass sie sich komplett selbst betrachten kann, aber bei den aktuellen Entwicklungen wird das wohl auch schon bald möglich sein. Derzeit richten wir ihn vor ihrem Gesicht noch passend aus …

6.) Sie summt und „singt“ inzwischen so viele Lieder mit – und zwar aus eigener Lust und nicht auf Aufforderung. Manchmal habe ich meine liebe Mühe beim Raten … die Kinderlieder gehen irgendwie noch, aber bei den aktuellen Radiosongs bin ich verloren und sie ist dann sogar ein bisschen enttäuscht. Das sind genau die Situationen, in welchen sie von mir das „Blöd, blöd, blöd“ gelernt hat    😉

So, das Ende für diese Woche ist erreicht, hier noch wie angekündigt die kleine Chronologie aller Blogeinträge inklusive der Highlights:



2021 09.
Mai

Die Themengebiete der letzten Woche bleiben natürlich erst einmal die gleichen wie schon aus der Woche davor: Essen, Beschäftigung, Lernen und Sprechen. Denn Stephanie befindet sich gerade mal wieder in einer Phase der Vertiefung des gerade Erlernten, weshalb natürlich keine neuen „Baustellen“ aufgemacht werden und eben die bisher wiedererlangten Dinge nun zuerst immer und immer wiederholt werden müssen. Sowohl das Pflege- und Therapeutenteam als auch Carsten und ich bei unseren täglichen „Doppelschichten“ müssen wieder mal viel Geduld aufbringen und dürfen trotz der tollen Fortschritte nicht an eine immer schneller werdende Verbesserungs-kurve denken.

Bezüglich Essen ist sie demnach weiterhin mit dem Lernen, wie man richtig kaut, mit der Zunge den Mundraum kontrolliert bearbeitet und vor allem alles herunterschluckt, beschäftigt. Dennoch hat sich in den letzten Tagen aus ihrer Sicht viel getan. Von den Breien und pürierten Speisen, die mittlerweile auch das Pflegepersonal füttern darf, kann sie mit den Logopädinnen nun sogar immer mehr Ausflüge in die Welt der „richtigen“ Speisen unternehmen. Zuerst war es nur eine Banane, dann schon ein ganzer Toast mit Nutella, Marmelade oder Leberwurst, dann eine harte Birne und für nächsten Dienstag ist sogar ein Experiment mit Pommes und Chicken Nuggets von McDonalds geplant. Zudem hat man wohl auch schon mit ihr einen recht ansehnlichen Essensplan für die nächste Woche ausgefüllt – sie konnte selbstständig aus drei Essen aussuchen und so hat sie sich entschieden:

MO:   geschmorte Schweineroulade mit Rosmarinsauce, Erbsen und Salzkartoffeln
DI:   Gabelspaghetti mit Gemüsebolognese und Tomatensalat … muss sicherlich Mäcces weichen
MI:   Griechischer Kartoffelauflauf „Moussaka“ mit Kräuter-Käsesauce und Krautsalat
DO:   Schupfnudel-Gemüsepfanne mit Waldpilzrahmsauce und Gurkensalat
FR:   Kaiserschmarrn mit Vanillesauce
SA:   Kohlrabieintopf mit Wursteinlage
SO:   Pfannkuchen süß gefüllt mit Vanillesauce

Natürlich wird das Meiste auch weiterhin noch püriert (glücklicherweise nicht zu einem einzigen Brei!), aber alleine schon die Geschmacksvielfalt dürfte ein Hochgenuss für sie werden. Sie hat in nur wenigen Tagen bewiesen, dass sie etwas, was am Gaumen hängen bleibt, selbstständig mit der Zunge rausfischen kann und dass sie das Kauen trotz der Anstrengung (es macht recht müde und sie kommt dabei sogar richtig ins Schwitzen) pflichtbewusst durchzieht. Selbst Feinheiten, über die wir uns sicherlich keine Gedanken mehr machen, setzt sie auf Anweisung nun fast schon reflexartig um. Oder habt ihr z.B. geahnt, das wir den Kiefer beim Kauen eigentlich nicht nur auf und ab bewegen, sondern unterschwellig auch etwas kreisen lassen, um den Zerkleinerungs- und Mahlvorgang zu unterstützen. Ist mir erst jetzt wieder so richtig bewusst geworden, weil ich mal darauf geachtet habe …

Beschäftigen, Sprechen und Lernen geht natürlich sehr stark ineinander über. Wo Carsten es mit Armbewegungen und den Buchstaben bzw. mit dem Lesen versucht, gehen meine Beschäftigung- und Bewegungstherapien eher in den Bereich Musik, Singen, Tanzen und Erinnerungen anhand von Fotos abfragen bzw. auffrischen. Doch im Allgemeinen sind wir uns einig:

  • Durch viel Reden und Fragen locken wir Stephanie immer wieder in eine Kommunikation, die zugegeben zwar noch etwas stark einseitig ist, aber sie versucht zumindest, nicht nur einsilbig zu antworten. Leider verstehen wir nicht alles und spätestens bei der dritten oder vierten Nachfrage lässt sie entnervt den Kopf nach hinten fallen und verdreht die Augen wie ein Teenager. Ihre Zunge kann eben noch nicht so wie sie will.
  • Wir lassen sie viel lesen, sei es vor dem mittlerweile täglichen Ritual des Riechens an diversen Dingen aus dem Haushalt (nachdem wir mit der Küche durch sind, ist Carsten schon auf Werkstattdinge, wie z.B. Schmier-fett und Pattex, ausgewichen), wo sie anhand des Etiketts den zu erwartenden Geruch selbst eruieren soll (sie wiederholt auch korrekt das Gelesene, wie z.B. bei Gewürzbehältern mit der Aufschrift Pelmeni, Blütenmix oder Nelken), als auch von Buchstabenkarten aus dem Kartenspiel „Stadt-Name-Land“ oder ganzen Texten auf Postkarten. Hier nuschelt sie zwar immer noch recht unverständlich, aber wenn man weiß, was sie eigentlich sagen wollte, dann passt das in der Regel auch. Nur bei langen und komplexen Wörtern, wie z.B. Liebstöckel-blätter, verdreht sie schnell die Augen und gibt vorzeitig auf.

  • Carsten bastelt immer wieder mal Dinge, bei denen sie greifen, festhalten oder auch die ganze Hand selbstständig bewegen muss. Bälle oder ihr Lieblingsstofftier (Taube Elfie, s.o.) gibt er ihr nicht direkt in die Hand, sondern lässt sie in der Höhe danach greifen. Mit einer Art Hundespieltau zerren beide kräftig herum und Carsten kann so Stephanies Arme und Hände spielerisch in Extrembewegungen bringen, die sie auf eine Aufforderung noch gar nicht von selbst durchführen möchte. Allerdings nicht aufgrund von Schmerzen, sondern eher weil es ein blödes Gefühl für sie ist … wir haben wirklich mehrmals nachgefragt, warum sie u.a. nicht so gerne die linke Hand bewegen möchte und es war nicht weil es ihr weh tut. Wir denken da z.B. an das Gefühl, was man bei eingeschlafenen Gliedern hat, die im Ruhezustand noch relativ ok sind, aber bei Bewegung eben als puddingartig und stark kribbelnd empfunden werden. Derzeit kann sie sich ja nicht einmal selbstständig im Bett positionieren, wenn ihr das Liegen unangenehm wird.

  • Bei der Musiktherapeutin haben wir mal eine Rassel ausgeliehen, die Stephanie auch von Anfang an ganz ohne Vorübung oder große Einweisung schwingt. Und das sogar ziemlich rhythmisch zur vorgespielten Musik! Teilweise wartet sie auch bis zum richtigen Einsatz innerhalb eines Liedes.
  • Letzteres ist mein Resort, denn ich singe mit ihr, tanze neben ihrem Bett und sie wackelt mit dem Kopf, den Beinen, den Armen und öfters eben auch mit der Rassel. Ich bin echt erstaunt, wie textsicher sie bei manchen neuen und alten Liedern ist, auch wenn natürlich die Worte an sich nicht sonderlich deutlich zu verstehen sind. Doch dadurch erlangt sie auf spielerische Art und Weise eine weitere Art der Zungenübung, sodass auch damit irgendwann ihre Aussprache zunehmend besser wird.

  • Gestern saß sie im Rollstuhl und da habe ich die Tischfunktion zum Malen ausgenutzt. Ich habe schon vor Tagen einen Block und Wasserfarbkasten inklusive Pinsel aus ihren Schultagen mitgebracht. Damit konnte ich mit ihr nun bunte Punkte, Striche und Wellen malen – je nachdem, wie sie es gerade wollte. Den Pinsel hatte sie selbst in der Hand (im Gegensatz zur Kunsttherapeutin – siehe letzten Blogeintrag) und ich stabilisierte diese für einen ausreichenden aber nicht zu festen Druck mit dem Pinsel auf das Papier. Sie durfte die Farbe auswählen und welche Form sie denn gerne hätte … es entstanden sicherlich keine meisterhaften Kunstwerke, aber das Kind hatte Spaß und das ist neben der Motorik ja mein vordergründiges Ziel bei diesen Übungen.

  • Wir gucken auch weiterhin viele Videos von der Familie und Freunden, die sie zu 100 Prozent versteht. Sie lacht an den richtigen Stellen, antwortet auf gestellte Fragen, führt interaktive Anweisungen im Rahmen ihrer Möglichkeiten aus und reagiert auch mal äußerst traurig, wenn sie z.B. über eine verstorbene Oma oder Hund informiert wird. Sie weint zwar (noch) nicht, aber die Augen werden schon recht rot in diesen Situationen. Mit einem richtigen Film haben wir es noch nicht wieder probiert …
  • Wir vereinbaren mit dem Kind Ziele, von denen wir annehmen bzw. wissen, dass diese a) erreichbar sind und b) auch von ihr unbedingt erreicht werden wollen. Das hat vor ein paar Wochen mit dem Essen geklappt (wochenlang beackert, auf einmal ging es von heute auf morgen) und wird hoffentlich für diese drei Vorhaben ebenfalls in Erfüllung gehen:
    1. Dein Sprechen muss verständlicher werden … nur so kannst du auch das bekommen, was du anfragst
    2. Deine Arme müssen einsetzbar sein … nur so kannst du dich auch mal selbst beschäftigen, z.B. mit Lesen oder TV umschalten
    3. Am Ende des Monats möchte Carsten mit dir Kniffeln … Becher, Würfel und Zählblock liegen schon bereit und sie hat nach dem Zeigen ihres ehemaligen Lieblingsspiels auch fest zugesagt.

Eine intensivere Lernstunde bringt derzeit bei ihr aber leider nix, denn ihre Aufmerksamkeitsspanne ist zur Zeit nur etwa 5-10 min lang – es sei denn, es macht ihr ganz ganz viel Spaß, wie z.B. beim Malen, wo sie selbst nach drei Bildern gerne noch hätte weiter gemacht. Demnach muss unter normalen Umständen alle 15 min die Beschäfti-gung, egal ob Lernen oder zum Spaß, gewechselt werden. Auch kann sie sich derzeit nur immer auf eine Sache gleichzeitig konzentrieren, was man z.B. sehr deutlich bei der Verabschiedung sieht. Bei der Andeutung wird noch der sehnsüchtige Hundeblick aufgesetzt und gemault, aber sobald der Fernseher oder das Radio an ist und ihre Aufmerksamkeit dort ankommt, ist sie vollends bei dieser Sache und man kann getrost gehen. Hier wissen sicherlich sämtliche Kindergarteneltern ganz genau, was in solchen Momenten im Kind und bei einem selbst vorgeht, oder nicht ?

Kurz noch zwei Bemerkungen zum Fernsehen: Auch hier weiß sie zu überraschen, denn obwohl auf MTV „Sponge Bob“ lief, wollte sie bei der Sendersuche lieber Deluxe Music gucken. Leider läuft dort zu oft Werbung und somit summt Stephanie nicht nur so manches Lied mit, sondern im Werbeblock auch gleich mal das Jingle von Intel    😉

Als Carsten am Freitagmittag zu Besuch war, übten zwei Therapeuten gerade mit ihr das aufrechte Sitzen an der Bettkante. Hier wurde erneut der noch sehr lange Weg bis zum Aufstehen und Gehen sichtbar, denn die Körper-spannung im Rumpfbereich ist gleich Null. Ohne Halten von außen kippt sie um wie ein nasser Sack – völlig unkontrolliert. Diese Muskelgruppen müssen sicherlich erst noch ganz mühsam aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt werden. Nur ihre Arme konnten sie ein wenig an den Seiten abstützen und somit aufrecht halten und ihren Kopf kann sie in die Höhe nehmen, sodass der Rücken gerade wird … doch dann kippt sie ohne Gegenwehr mit voller Wucht nach hinten, da sie eben nichts in dieser Richtung selbst abstützen kann.

Insgesamt ist es aber so, dass Stephanie nach wie vor mit viel Elan bei sehr vielen Tätigkeiten ist und sich auch sehr gern mit allen Stationskollegen unterhält. Diese werden wiederum nicht müde, mit ihr zu schnattern und Namen, Begriffe und diverse Floskeln zu üben. Die Pflegerinnen lieferten nun auch für sich den endgültigen Beweis, dass Stephanie lesen kann. Sie schrieben auf Karteikarten in großen Buchstaben „Bitte“, „Danke“, „Hunger“, „Mama“, „Papa“ und auch ihre eigenen Namen und berichteten mir darüber, dass Stephanie all das richtig gelesen hat. Ich zeigte Stephanie diese Karten heute nochmals und sie hat erneut alle Begriffe laut vorgelesen. Die Beweisführung ist für mich damit endgültig abgeschlossen    🙂

Ansonsten freuen sich alle nach wie vor über jede kleine Weiterentwicklung. Gerade die Pflege scharrt schon mit den Hufen und wartet, dass sie Stephanie auch sogenannte Weichkost (das was derzeit nur Logopädinnen verabreichen dürfen, bis man sich ganz sicher ist, dass das Kauen perfekt beherrscht wird) zusätzlich zur jetzigen Breikost geben dürfen. Jetzt ist unser Kind ja ein wirklich sehr dankbarer Esser geworden    😉

Und ich warte auf den Moment, dass mein Kind ganz allein ihren Löffel zum Mund führen und selber essen kann. Bin echt gespannt, wann das der Fall sein wird    😉